Lauer will Berliner Piraten mit Krawall aus der Krise führen
Neuer Landeschef gewählt / Vorstand soll deutlich erweitert werden / Partei bekommt Politischen Geschäftsführer und Generalsekretär
Die Berliner Piraten haben am Sonnabend auf ihrer Mitgliederversammlung mit 57,9 Prozent (110 Stimmen) Prozent denkbar knapp Christopher Lauer zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Der bundesweit bekannte Piraten-Politiker, der auch als innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus tätig ist, setzte sich damit gegen seinen Mitbewerber, den 29-jährigen Studenten Thomas Wied durch, der von 55,8 Prozent der Anwesenden (106 Stimmen) gewählt worden war.
Bei der Landesmitgliederversammlung mit insgesamt 190 Parteimitgliedern, die noch bis Sonntag im Gebäude des »neuen deutschlands« in Berlin-Friedrichshain stattfindet, überzeugte Lauer die anwesenden Piraten offenbar einerseits mit selbstreflektierenden Äußerungen. So entschuldigte er sich beispielsweise beim früheren bundespolitischen Geschäftsführer der Piraten Johannes Ponader für eine Droh-SMS, mit der er diesen im Februar 2013 zum Rücktritt aufgefordert hatte. Ponader hatte die SMS damals öffentlich gemacht. Lauer bezeichnete die SMS-Affäre auf der Parteiversammlung als seinen größten »politischen Fehler«. Andererseits stellte Lauer den Mitgliedern der stark angeschlagenen Partei aber auch vor die Wahl: Sie müssten mit der Vorstandswahl entscheiden, wie »krawallig oder nicht krawallig« sie es künftig haben wollen.
Auf ihrem Parteitag haben die Berliner Piraten als erste Partei Deutschlands einen Online-Parteitag in ihre Satzung aufgenommen, mit dem sie in Zukunft über das Internet ihr Wahlprogramm gestaltet. In der virtuellen Versammlung, die »Ständige Mitgliederversammlung« (SMV) heißt, können alle akkreditierten Parteimitglieder im Internet Anträge einbringen. Bei genügend Unterstützern werden die Anträge Parteiprogramm.
Die SMV funktioniert nach den Prinzipien von Liquid Democracy: Jeder Teilnehmer hat die Möglichkeit, zu allen Themen selber abzustimmen oder seine Stimme an andere Mitglieder zu delegieren. Der neue Landesvorstand begrüßte die neue »basisdemokratische« Kontrolle. mkr
Um den Niedergang der Partei, die auch in ihrer Hochburg Berlin zuletzt unter der Fünf-Prozent-Hürde lag, zu stoppen, will Lauer die Partei deshalb ab sofort stärker in die öffentliche Diskussion bringen. »Ich weiß, wie das Spiel mit der Öffentlichkeitsarbeit läuft«, sagte der Piratenpolitiker, der mehrfach auf seine gute Vernetzung mit den Medien und seine Kompetenzen verwies, die Partei nach außen zu vertreten. Als eine politische Richtungsentscheidung zwischen »sozialliberal« oder »links«, die in den vergangenen Wochen in den Medien diskutiert wurde, will Lauer seine Wahl indes nicht verstanden wissen: »Mir ist es egal, ob die Katze weiß oder schwarz ist, Hauptsache sie fängt Mäuse«, sagte er. Der Berliner Landesverband gilt ohnehin eher als links, sodass die Richtungsdebatte in Wirklichkeit keine große Rolle spielte. Als Ziel seiner Kandidatur gab Lauer, der mit seiner Wahl auch so was wie ein politisches Comeback feiert, den Wiedereinzug der Piraten ins Abgeordnetenhaus vor – und dies auf dem Niveau der guten Umfragen aus dem Jahr 2012, also bei 15 Prozent. Auch eine mögliche Regierungsbeteiligung fasste der neue Landesvorsitzende öffentlich ins Auge.
Neben der Vorstandswahl beschäftigte sich die Landesmitgliederversammlung der Piraten auch mit den Strukturen und dem Programm der Partei. Damit der in Zukunft deutlich politischer aufgestellte Landesvorstand handlungsfähiger ist als zuvor, soll es künftig den Posten eines Politischen Geschäftsführers und den eines Generalsekretärs geben. Auch die Amtszeit des Vorstandes wurde auf zwei Jahre verlängert. Auf der Versammlung, die noch bis Sonntag andauern soll, diskutierten die Parteimitglieder überdies die Einrichtung einer ständigen Mitgliederversammlung, die dem neuen Landesvorstand beratend zur Seite stehen soll.
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