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Rätsel um Karin Rätzels Abwahl
Cottbus kegelt seine parteilose Oberbürgermeisterin - oder doch nicht?
Als Karin Rätzel 2002 bei der Cottbusser Oberbürgermeister-Wahl siegte, waren die Gesichter der Fraktionsvorsitzenden lang. Keiner der Favoriten zog ins Rathaus ein, statt dessen eine Frau, die erst 2000 von den Stadtverordneten aus dem Amt der Finanzdezernentin gejagt worden war. Warum tun Wähler so etwas?
Der Grund ist leicht verständlich. Der gefühlte Filz war damals undurchdringlich und die Angst vor einem Weiter so nicht zu besänftigen. Außerdem soll Karin Rätzel schon deswegen vom damaligen Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt (CDU) zum Abschuss freigegeben worden sein, weil sie sagte, was sie meinte und das in einer Art, die sie für jedes Amt selbst der niederen diplomatischen Laufbahn ungeeignet machte. Dafür liebten die Cottbusser sie. Sie zogen Rätzel den Leuten vor, denen der Stallgeruch einer Partei anhaftete.
Die Ernüchterung ist groß. Der gefühlte Stillstand setzt sich fort. Statt des ersehnten Innenstadtkinos nur weiter Abriss im DDR-Neubauviertel Sachsendorf. Der Wasserpreis steigt, das neue Heizkraftwerk schrammt hart am Konkurs vorbei, und von Investoren für diese und jene Bürgerwünsche ist weit und breit nichts zu sehen.
Um das Bild zu ergänzen: Der Energiekonzern Vattenfall verlegte seine Zentrale nach Cottbus, es gibt zwei Hochschulen, und die Fußballmannschaft FC Energie Cottbus schaffte den Aufstieg in die erste Bundesliga. Die Erfolge, das wird im Gespräch mit Kommunalpolitikern schnell klar, werden subjektiv sortiert: Der verhassten Oberbürgermeisterin bleibt nur das, was misslungen ist.
Eine Hausmacht hat sie sich nicht basteln können. Beim ersten Auftritt machte sie den Stadtverordneten klar, wer regiert und wer sich wem unterordnen müsse. Kein guter Einstieg für die kommenden acht Jahre. Spätestens da muss der Wunsch aufgetaucht sein, diese Frau so schnell wie möglich wieder loszuwerden.
Anfang Mai schließlich gelang es, den Abwahlantrag mit nur wenigen Gegenstimmen durchzubringen. Anschließend eröffneten die Abgeordneten ihr gemeinsames Abwahlbüro in einer Seitengasse zum Rathaus. »Hier erfahren Sie mehr über die Hintergründe dieses Bürgerentscheides, über die Wahlversprechen der OB im Jahre 2002 und über die Eigenschaften, die ein Stadtoberhaupt verkörpern sollte«, verspricht die Internetseite www.02-juli.de.
Statt knallharten Fakten findet der Wähler dort sanfte Träume über den idealen Oberbürgermeister: »...beispielgebend, bürgernah, freundlich, charismatisch...« ach ja, und »investitionsfördernd«. Eine Liste mit den Wahlversprechen Rätzels ist da nachzulesen, aber keine überzeugend gestaltete Liste mit ihren Verfehlungen. Auch auf Nachfrage konnte nicht viel mehr präsentiert werden als das, was der Stammtisch munkelt.
Auch die Antwort auf die Frage nach der Alternative verschwamm in der Begeisterung der Abgeordneten über ihre Entschlusskraft. Erst Anfang vergangener Woche rückten einige Namen nach vorn. Am Donnerstagabend hieß es dann, falls Rätzel abgewählt wird, schickt die SPD die Cottbuser Landtagsabgeordnete Martina Münch ins Rennen. Die CDU sprach von »einigen Kandidaten« und nannte als einen von ihnen den ehemaligen Ordnungsdezernenten Wolfgang Bialas. Für die FDP bewirbt sich Fraktionschef Matthias Schulze.
Für die Linkspartei in den Ring zu steigen, wäre Eberhard Richter bereit. Als Parteiloser gehörte er jahrelang der Stadtfraktion an - von 1993 bis 1999 und dann ab 2003. Im vergangenen Jahr übernahm Richter das Amt des Fraktionsvorsitzenden. Da war er noch immer parteilos. Inzwischen trat er der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) bei. Richter wäre ein guter Mann im Chefsessel des Rathauses.
Kommt es tatsächlich zum Sturz der Oberbürgermeisterin, dürfte die Freude über die plötzliche Gemeinsamkeit von CDU über SPD, FDP und Grüne bis hin zur Allianz unabhängiger Bürger und zur Linkspartei sehr schnell vorbei sein. An die 200 Leute haben im Abwahlbüro bisher vorgesprochen, mit sinkender Tendenz. Für einen stürmischen Wutausbruch in der Lausitzmetropole spricht das nicht gerade. Auf der anderen Seite gibt es eine ziemlich erhebliche Anzahl von Bürgern, die ihr Votum per Briefwahl abgeben wollen. Wie es um Rätzels Zukunft bestellt ist, das bleibt ein Rätsel, das erst am Abend des 2. Juli gelöst wird.
Die letzte Kommunalwahl lockte 28 Prozent der Cottbuser an die Urne. Nun muss sich ein Viertel der Wahlberechtigten gegen Karin Rätzel entscheiden, etwa 22 000. Plädiert die einfache Mehrheit für den Verbleib im Amt, ist der Bürgerentscheid geplatzt.
Die Stimmung auf der Straße ist geteilt. Während die Parlamentarier die Wähler geschlossen hinter sich meinen, tendieren gerade Frauen eher dazu, das Rätzel bleiben sollte. »Sie soll ihre Arbeit zu Ende führen«, begründet eine Cottbusserin ihre Meinung. Wenn Rätzel nicht Rathauschefin bleiben darf, bleiben ihr doch immerhin 75 Prozent der bisherigen B...
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