Mars regiert die Stunde

Klaus Schuhmann berichtet über Literaten kontra Patrioten

  • Karoline Groß
  • Lesedauer: 3 Min.

Vermutlich wird es dieser Band nicht wie Florian Illies' »1913« auf die Bestsellerliste schaffen. Obwohl er es verdient hätte. Klaus Schuhmann bietet Einblicke in deutsche Geisteswelt am Vorabend der Apokalypse, erinnernd an längst vergessene Akteure und Episoden - und bietet vor allem nicht mehr verlegte Texte. Im Fokus steht ihm seine Stadt Leipzig, doch schweift sein Blick reichsweit.

1913 wurde in Leipzig drei Mal ganz groß gefeiert: im Mai der 100. Geburtstag von Richard Wagner, dem zugleich ein neues Denkmal gestiftet wurde, sodann im Juli das Deutsche Turnfest und schließlich die Weihe des Völkerschlachtdenkmals unter Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II.; und einen Tag später wurde zudem der Grundstein für die Deutsche Bücherei gelegt. »An Theatralik verschiedener Art war 1913 in Leipzig kein Mangel«, schreibt Schuhmann. Und bei allen Anlässen ging es höchst patriotisch zu. Auch die Messestadt war schon von Kriegsfieber ergriffen. »Im Jubel des Jahres 1913 kündigte sich die erste Kriegskatastrophe des 20. Jahrhunderts an.« Die in den Festen und Feiern beschworenen Tugenden von 1813 fanden sich in jenen von 1914 wieder.

Es gab indes auch Literaten, die sich dem Jubel entzogen, mahnten und warnten. Franz Pfemfert sprach von einem »patriotischen Fühlen als Saisonmoder 1913« und schrieb in seiner Zeitschrift »Die Aktion« unter der (an Goethe angelehnten) Überschrift »Die Wahnverwandtschaften«: »Der Patriotismus tritt epidemisch auf, ist nicht zu bekämpfen. Jede andere Krankheit läßt sich auf einen begrenzten Ort zurückdämmen. Hier aber werden selbst Telegraphendrähte Bazillenträger.« Und im Januar 1914 resigniert: »Mars regiert die Stunden.«

Und diese waren auch die Stunden der Dichter, die den Krieg »heilig« und »heroisch« priesen. In den Jahrzehnten nach der deutschen Reichsgründung sei, so Schuhmann, »die Zahl derer, die nicht wie Friedrich Nietzsche im Mistral tanzen wollen, sondern lieber gehorchten und dienten, exerzierten und turnten«, immens angewachsen.

Der Autor erinnert u. a. an den heftigen Disput um das Verbot von Gerhart Hauptmanns »Festspiel« zum 100. Jahrestag der Leipziger Schlacht, weil das Stück die Befreiungskriege nicht recht würdige. Erich Mühsam klagt: »Eine trübseligere Nationalbegeisterung als die gegenwärtige, die zum Zwecke der Belebung glorreicher Erinnerungen an das Jahr 1813 im patriotischen Zentralofen angeheizt wurde, hat es wohl nie gegeben.« Zugleich kritisiert der Anarchist auch Hauptmann und fragt, warum dieser sich überhaupt »bereit fand, zu dem künstlichen Rummel bengalisches Feuerwerk zu machen«. Auch Franz Mehring verteidigt und kritisiert: »Er hat eine Sache unterstützt, die ihm feindlich ist.« Ein Jahr später gehörte Hauptmann zu jenen, die den Krieg bejahten und das ominöse »Manifest der 93« signierten.

Weitere Dichter und Publizisten, die in dem Buch zu Worte kommen, sind Kurt Tucholsky, Franz Werfel, Peter Schlemihl, Karl Lamprecht, Kurt Pinthus, Walter Hasenclever, Kurt Wolff, Ludwig Uhland ... Wir Heutigen können nachempfinden, was Mehring nach der letzten Jubelfeier 1913 in der »Leipziger Volkszeitung« notiert: »Uff! Der Völkerschlachtrummel ist vorbei, und die gute Stadt Leipzig atmet auf, einer großen Plage los und ledig.«

Klaus Schuhmann: Literaten kontra Patrioten. Das kulturelle Leipzig im Gedenkjahr 1913. Leipziger Universitätsverlag. 393 S., geb., 44 €.

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