Zehn Cent für das Nähen eines Fußballs

In Nordindien arbeiten Kinder für die Sportartikelindustrie / Appell an die FIFA

  • Hilmar König, Delhi
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Uma und Bobesh, Shalini und Tinko haben noch nichts von der Fußball-WM gehört. Sie kennen dieses Ballspiel gar nicht. Und auf die Frage, wer denn die stärksten Teams in der Welt seien, antworten sie: Indien, Sri Lanka und Pakistan. Das Aberwitzige: Die minderjährigen Jungs und Mädchen halten jeden Tag nicht nur Fußbälle in ihren Händen, sondern sie nähen diese aus vorgeschnittenen Stücken zum runden Leder zusammen. Vom Verwendungszweck haben sie keine Ahnung. Können sie auch nicht, denn sie sitzen von 6 Uhr in der Früh bis in die Abendstunden in ihren Werkstätten oder Stuben daheim, stundenlang in gebeugter Haltung, nicht selten mit aufgerissenen Fingern. Am Montag stellte die indische Organisation Bachpan Bachao Andolan (BBA; Kampagne Rettet die Kindheit), die sich landesweit für ein Verbot der Kinderarbeit engagiert, 17 Minderjährige aus dem Distrikt Meerut im nördlichen Unionsstaat Uttar Pradesh in Delhi der Presse vor. Die Kinder wurden zuvor von der BBA aus ihrem Arbeitsverhältnis befreit. Kailash Satyarthi, Vorsitzender der Organisation, erklärte: »Obwohl die FIFA und Indiens Fußballverband sich verpflichteten, Kinderarbeit zu ächten, wird das nicht kontrolliert. Auf dem Papier gehen die Kinder zur Schule, aber sie haben nie einen Klassenraum von innen gesehen.« Große Firmen geben ihre Aufträge weiter an kleine Kontraktoren, die aus den ärmlichen Verhältnissen auf dem Lande rigoros Vorteile zögen, meint Satyarthi. Die Kinder erhalten für einen fertig genähten Ball drei bis fünf Rupien, knapp zehn Eurocent. Das ist rund 40 Mal weniger als der Ladenpreis eines Balles. Im Jahre 2005 erwirtschafteten indische Firmen mit Export von Sportartikeln Gewinne von umgerechnet 80 Millionen Euro. 38 Prozent davon allein durch die Fußball-Branche. In manchen Dörfern ist die Sportartikelindustrie der einzige Erwerbszweig, in dem alle Familienmitglieder mithelfen. So auch die neunjährige Uma. Sie näht wie ihre Mutter, die Schwester und der Bruder Tag für Tag Bälle. Sie sagt: »Die Nadel sticht oft in die Finger, und der Rücken schmerzt. Viel lieber würde ich in die Schule gehen. Doch dann würde es uns noch schlechter gehen.« Unter Federführung der BBA formulierten die Jungs und Mädchen einen Appell an die FIFA: »Wir wünschen, dass Fußball überall zu einem Symbol der Harmonie und Eintracht wird. Aber das darf nicht auf Kosten uns...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.