Ein Geflecht aus Pinkelpfaden

Tiergarten um die Fanmeile leiden unter den Menschenmassen

  • Anke Engelmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Erst die Techno-, dann die Fußball-Fans: Der Tiergarten macht ganz schön was mit. Der Rummel auf der Fanmeile, auf der sich bis zu einer Million WM-Begeisterte drängeln, hinterlässt in der ältesten Grünanlage Berlins deutliche Spuren. Schon jetzt seien die Schäden nicht zu übersehen, so Harald Büttner, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes Mitte. Mit Sorge beobachtet er, wie sich Trampelpfade ausweiten und Hecken verschwinden. Vor allem die »randlichen Einfassungen« zur Straße des 17. Juni, die bereits durch die Loveparade »bis zur Totalvernichtung« vorgeschädigt sind, leiden unter den Menschenmassen. Doch das größere Problem resultiert aus einem zutiefst menschlichen Bedürfnis: 400 000 Liter Bier, die täglich getrunken werden, müssen irgendwo entsorgt werden. Viele Fußball-Fans, bis zum Rand abgefüllt mit Gerstensaft, haben keine Lust auf Schlangestehn, wenn die Blase drückt. Und so ergießt sich der stickstoffhaltige Pflanzenkiller zumeist in die Natur statt in eine der 300 Miettoiletten. Dabei sei deren Anzahl durchaus ausreichend, hat auch Harald Büttner nichts zu meckern. Zudem trampeln die zumeist männlichen Wildpisser, vor Harndrang blind, gnadenlos durchs Unterholz. Inzwischen durchziehe ein regelrechtes Geflecht aus Pinkelpfaden die Grünanlagen rund um die Fanmeile. Das Grünflächenamt hält täglich mit sechs Millionen Litern Spreewasser dagegen, um die Stickstoffflut einzudämmen. Die Senatskanzlei als Veranstalter kann zwar dafür sorgen, dass ausreichend Toiletten vorhanden sind. Doch niemand kann die Fans zwingen, die auch zu benutzen. »Eine absolut flächendeckende Überwachung wird es nicht geben«, sagt Senatssprecher Michael Donnermeyer. »Das wollen wir auch gar nicht.« Auch sonst bringt das Fanfest jede Menge Arbeit und Kosten. Jeden Morgen kommen 20 Tonnen Müll aus den öffentlichen Anlagen rund um die Fanmeile zusammen, so Büttner. 365 000 Euro muss der Bezirk für die tägliche Reinigung und die Pflege der Grünflächen auf den Tisch legen - außerplanmäßige Mehrausgaben aus dem leeren Bezirkssäckel. Dazu kommen noch die Folgekosten: Im Herbst müssten bis zu 100 000 Sträucher nachgepflanzt werden, schätzt Büttner. Der Bezirk hofft, dass ihm der Senat finanziell unter die Arme greift. Immerhin ist das Ereignis von überregionaler Bedeutung. Massenveranstaltungen wie der Berlin-Marathon, WM-Fanmeile und Loveparade: Herbert Lohner, beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Fachreferent für Naturschutz, beobachtet mit Sorge einen Trend zur Privatisierung und Kommerzialisierung öffentlichen Grüns. Wenn wie für die Adidas-Arena vorm Reichstag die Bepflanzung einfach beseitigt wird, zeugt das von einer fragwürdigen Ethik, bei der die Natur lediglich als kommerzieller Faktor gesehen werde. Der BUND fordert ein Umweltmanagement, das zuvor prüfen soll, wie tragfähig die einzelnen Parks seien. Ein schwieriges Unterfangen, reißen sich doch wegen des Imagegewinns die Bezirke regelrecht um Großveranstaltungen. Immerhin, das alles ist kein Vergleich zu den Zerstörungen durch die Loveparade, so Harald Büttner. Kaum Vandalismus, keine Flaschen in den Teichen, kein Spritzenbesteck im Spielplatzhäuschen. Doch auch die nächste Loveparade kommt bestimmt: nur wenige Tage nach dem Abpfiff, am 15. Juli.
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