Hoher Besuch im Café Kotti
Stippvisite von Bundespräsident Gauck im Kreuzberger Szenecafé stößt bei einigen auf Kritik
An diesem Mittwoch ist Joachim Gauck »unterwegs zum Miteinander«. Der Bundespräsident besucht unter dieser Überschrift Berliner Stadtteileinrichtungen: am Morgen »Stadtteilmütter« in Neukölln, am Mittag einen Autor in einer Weddinger Bibliothek und am Nachmittag Kreuzberger Initiativen und Vereine. Zu letzterem Termin wird auch Protest erwartet. Für 15 Uhr wird im Internetportal »Indymedia Linksunten« zum Kottbusser Tor mobilisiert - zur selben Uhrzeit soll dort ganz in der Nähe Gaucks »Gespräch mit Vereinen und Initiativen für eine vielfältige Gesellschaft« stattfinden. Zwei Artikel erschienen vergangene Woche bei Indymedia, in denen die Kritik an Gauck zusammengefasst wird: Er sei nicht nur aggressiver Antikommunist, sondern stelle die Verbrechen kommunistischer Staaten in eine Reihe mit denen der Nazis; er habe von der DDR verurteilte Nazis nachträglich geehrt; als Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde habe er sich als »Großinquisitor« aufgeführt und eine Dämonisierung der DDR betrieben. Sozialproteste kritisiere er ebenfalls, im Gegensatz zu Vorratsdatenspeicherung und Afghanistan-Einsatz.
Einen Stich verspüren so einige der Gauck-Kritiker angesichts des Ortes, den der Präsident in Kreuzberg besuchen soll. Deutlich verwundert wird auf Indymedia (auch in einigen Kommentaren) darauf hingewiesen, dass das Treffen im Café Kotti stattfinden soll, das in der Adalbertstraße mit Blick aufs Kottbusser Tor liegt. Dieses Café, das abends als Bar bis sehr spät geöffnet bleibt, wird nicht nur von einem alters- und herkunftsmäßig sehr gemischten, sondern auch von einem gewissen politischen Publikum frequentiert - Leuten, die sich in der zitierten Gauck-Kritik wiederfinden. Eröffnet wurde es 2009 von dem Sozialarbeiter Ercan Yasaroglu, der in der Zivilgesellschaft ums Kottbusser Tor herum vernetzt und verwurzelt ist.
Wie wenig das Café Kotti zu den ideologischen Äußerungen Joachim Gaucks passt, wird auch auf Yasaroglus öffentlich einsehbarer Startseite im Internet-Netzwerk Facebook deutlich. Unterhalb seiner Favoriten für Musik und Bücher finden sich dort in der Rubrik »Interessen« nur zwei Einträge: Rote Hilfe und Antifa.
Gauck und er hätten »unterschiedliche Weltanschauungen«, sagt Yasaroglu gegenüber »nd«. Doch sein Café solle ein Begegnungsraum sein, und ein Raum für Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft »nicht gewollt« sind. So wolle er es auch dem Präsidenten vorstellen. »Ich bin hier im Kiez seit 31 Jahren als Aktivist gegen soziale Ungleichheit bekannt«, erklärt der aus der Türkei Geflohene. Deshalb vertrauten ihm viele Linke auch in dieser Angelegenheit. »Von einem Teil der linken Szene kriege ich Kritik«, sagt Yasaroglu aber auch.
Auf Anfrage nennt das Bundespräsidialamt die sieben Gruppierungen, mit denen sich Gauck unterhalten soll. Einige dienen der Vernetzung von Menschen mit ausländischer Herkunft oder Wurzeln, aber auch das Online-Magazin Renk ist darunter. Auf die Frage, ob die Protestaufrufe im Bundespräsidialamt bekannt sind, antwortete eine Sprecherin am Montag: »Uns ist bekannt, dass es auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Besuch des Bundespräsidenten gibt.« Ob besondere Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden, wollte sie nicht beantworten.
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