Kritik vor leerer Regierungsbank
Opposition im Bundestag bemängelte vielfache Unsicherheit durch Mindestlohn
Derzeit wird der von der Koalition geplante Mindestlohn heiß diskutiert, besonders mögliche Ausnahmen sind zwischen den Koalitionspartnern, aber auch unter Gewerkschaften und Arbeitgebern umstritten. Die Aktualität des Themas nutzte die Linksfraktion im Bundestag am Freitag, um ihre Kritik an der Höhe des von Schwarz-Rot beschlossenen Mindestlohnes von 8,50 Euro pro Stunde deutlich zu machen. Die Partei fordert eine Lohnuntergrenze von zehn Euro.
Der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Klaus Ernst sagte, mit 8,50 Euro Stundenlohn kämen viele Familien gerade knapp über das Existenzminimum. 740 000 Menschen müssten trotz Vollzeitarbeit weiter aufstockend Hartz IV beantragen. Zudem reiche der von der Bundesregierung geplante Mindestlohn, der erst ab 2017 flächendeckend und mit Ausnahmen gelten soll, nicht für ein existenzsicherndes Alterseinkommen aus. Den Menschen sei es auch kaum begreiflich zu machen, dass die Diäten der Abgeordneten entsprechend der Lohnentwicklung anstiegen, der gesetzliche Mindestlohn aber nicht.
Die derzeit diskutierten Ausnahmen, besonders für Unter-18-Jährige, bezeichnete Ernst als Altersdiskriminierung. Sie hätten vor keinem Gericht Bestand, kritisierte er in Richtung der - allerdings weitgehend leeren - Regierungsbank. Auch die Grünen und Teile der SPD äußerten Bedenken hinsichtlich der Ausnahmen. Brigitte Pothmer (Grüne) sagte, die Altersgrenze müsse sorgfältig geprüft werden, Anreize für einen Ausbildungsverzicht dürfe es nicht geben. Die Ausnahmen für Langzeitarbeitslose stellten jedoch mit Sicherheit einen »eklatanten Fehlanreiz« für die Arbeitgeber dar. Sie könnten dann Langzeiterwerbslose für einen Niedriglohn beschäftigen und bekämen noch staatliche Lohnkostenzuschüsse.
Auch Markus Paschke (SPD) bemängelte, Ausnahmen schafften Unsicherheit. 8,50 sei die Lohnuntergrenze und damit die »gesetzliche rote Linie, die nach 2017 nicht mehr unterschritten werden« dürfe.
Laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institutes der Hans-Böckler-Stiftung gibt es kaum Indizien dafür, dass Ausnahmen vom Mindestlohn die Arbeitsmarktchancen junger Leute verbessern. Die Konjunktur sei wesentlich entscheidender für die Höhe der Jugendarbeitslosigkeit, das zeigten Untersuchungen aus EU-Staaten, in denen Jugendliche teilweise vom Mindestlohn ausgenommen seien, heißt es in einer Mitteilung des Instituts.
Die Redner der Union pochten darauf, dass der Mindestlohn kein Allheilmittel und zudem keine politische Angelegenheit, sondern eine der Tarifparteien sei. Eine paritätisch mit Gewerkschaftern und Arbeitgebern besetzte Kommission werde die Höhe des Mindestlohnes prüfen und bei Bedarf anpassen. Oberste Priorität habe aber die Tarifautonomie, so Karl Schiewerling (CDU).
Die von der LINKEN geforderte Lohnuntergrenze von zehn Euro bezeichneten alle anderen Bundestagsparteien als realitätsfremd. Das wahre Problem sei auch nicht die Höhe, sondern die praktische Umsetzbarkeit, sagte Beate Müller-Gemmecke (Grüne): Bereits jetzt gebe es zu wenig Personal bei der »Finanzkontrolle Schwarzarbeit«. Eine flächendeckende Überprüfung sei so nicht möglich.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) lehnte am Freitag allerdings die auch von Gewerkschaften geforderte Aufstockung der »Finanzkontrolle Schwarzarbeit« ab. In der Vergangenheit habe diese auch bei relativ konstanter Stellenzahl neue Aufgaben übernommen. Die Gewerkschaft IG Bau hält mindestens 10 000 statt der bisherigen etwa 6700 Fahnder für notwendig. Auch die Zollgewerkschaft rechnet damit, dass zwischen 2000 und 2500 weitere Mitarbeiter erforderlich sind.
Der Streit um den Mindestlohn geht also auch nach der Bundestagsdebatte weiter. Das einzige, was bisher festzustehen scheint, ist die Höhe von 8,50 Euro. Die Koalitionäre jedenfalls bezeichneten ihren Entwurf als Erfolg für alle - Wirtschaft, Menschen und Unternehmen.
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