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Dumme Neonazis werden älter
Weniger politisch motivierte Gewalt, aber drei schwer verletzte Ausländer
Zwar haben politisch motivierte Straftaten in Brandenburg zahlenmäßig deutlich zugenommen, nicht aber die Zahl der unmittelbaren Gewaltausbrüche. Allerdings sind im vergangenen Jahr auch wieder drei Ausländer durch rechtsextreme Überfälle schwer verletzt worden.
Das ist der Jahresbilanz im Bereich politisch motivierter Kriminalität zu entnehmen, die Innenminister Ralf Holzschuher (SPD) gestern präsentierte. »Rechte Gewalt in Brandenburg auf den Rückzug«, lautete die Überschrift der dazu verteilten Pressemitteilung. Demnach sank die Zahl der angezeigten rechtsextremen Überfälle von 58 im Jahr 2012 auf 45 im Jahr 2013. Insgesamt ging die politisch motivierte Gewalt - zu der die Polizei auch linksextreme Handlungen zählt - von 88 auf 62 zurück.
- Die Zahl der politisch motivierten Straftaten stieg binnen eines Jahres von 1627 auf 1786.
- Den 1379 rechten Straftaten stehen 211 Straftaten gegenüber, die die Polizei linksradikalen Straftätern zuordnet.
- 54 Prozent aller politisch motivierten Straftaten waren sogenannte Propagandadelikte.
- 41,7 Prozent der Delikte waren sonstige Straftaten wie Beleidigung, Bedrohung und Sachbeschädigung.
- Rechte Gewalttaten machten im vergangenen Jahr 3,5 Prozent aller politischen Delikte aus.
- Die Zahl der Straftaten aus linken Milieus heraus sank von 27 auf 15.
- 49 Prozent der politisch motivierten Straftaten konnten aufgeklärt werden. Bei den Gewalttaten betrug die Aufklärungsquote 90 Prozent. 2012 waren es 80 Prozent. winei
Die Gesamtzahl der politisch motivierten Straftaten wuchs um 159 Fälle, was Holzschuher aber »keine zwingend beunruhigende Tendenz« nannte. Denn in der Regel betraf das Propagandadelikte wie Hakenkreuzschmierereien, das Zeigen des Hitlergrußes oder das Grölen von Naziparolen. Außerdem werden in Wahljahren mehr Plakate beschmiert oder zerstört, was die Polizei bei einer Anzeige als Sachbeschädigung wertet. Es bleibe den Beamten angesichts der Gesetzeslage gar nichts anderes übrig, und wenn derlei Kommentare auf Plakaten künftig als Ordnungswidrigkeit gewertet werden sollen, dann müsse der Gesetzgeber dafür die Voraussetzungen schaffen, erklärte Polizeipräsident Arne Feuring dazu.
Überfälle auf Menschen werden von Rechtsextremen oft aus der Gruppe heraus und unter Alkoholeinfluss begangen, fuhr Feuring fort. In 84 Prozent der Fälle handle es sich bei den Geschädigten um »Zufallsopfer«, das heißt, sie sind den Tätern einfach irgendwo über den Weg gelaufen. Linksradikale Straftäter wählen dagegen den Staat oder Neonazis als Angriffsziel, hieß es. Zwar sind 70 Prozent der rechtsextremen Täter jünger als 30 Jahre, doch sei zu beobachten, dass sie allmählich auch in vorgerücktem Alter ihre rechtsextremen Straftaten begehen, sagte Holzschuher. »Die Dummen werden älter.«
Mit am Tisch saßen am Mittwoch Wissenschaftler des Moses-Mendelssohn-Zentrums, das seit längerer Zeit Fällen nachgeht, die vom Verein Opferperspektive als rechtsextrem motiviert eingestuft wurden, während die Polizei dies nicht getan hatte.
Er wolle der Abschlussbilanz des Forschungsprojekts nicht vorgreifen, die für Mai 2015 vorgesehen ist, sagte Christoph Kopke vom Mendelssohn-Zentrum. Bislang sei man jedoch auf zwölf Fälle gestoßen, die von der Polizei als nicht rechtsextrem motiviert bewertet wurden, obwohl »in der Regel ein Bezug zum Rechtsextremismus« bestanden habe. Dabei könnten die Täter eine derartige Gesinnung offenbart haben oder Kontakte in die einschlägige Szene unterhalten. Tatsächlich müsse genau geprüft werden, ob jede Straftat eines Rechtsextremen aus genau dieser Geisteshaltung heraus geschehen sei oder ob es sich um »gewöhnliche« Kriminalität gehandelt habe und »die Tat an sich« nicht rechtsextrem motiviert gewesen sei. An der Nachprüfung beteiligt sind laut Kopke Opfervereine, die Fachhochschule der Polizei in Oranienburg, das Innenministerium, die Landesintegrationsbeauftragte und das Landeskriminalamt. Kopke lobte den freien Zugang zu allen Akten, vor allem natürlich zu den Polizei- und Gerichtsakten.
Innenminister Holzschuher erinnerte daran, dass sein Amtsvorgänger, der heutige Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), diese Untersuchungen im Zuge des NSU-Skandals in Auftrag gegeben hatte. Die Polizei sei inzwischen ungleich sensibilisierter, gemessen an früheren Tagen. Bestimmte Fälle werden von der Polizei heute anders bewertet als früher, erklärte Holzschuher. Er betonte, dass alle Opfer von Gewalt bei der Polizei »offenen Ohren« finden würden. Trotzdem besteht nach wie vor eine beträchtliche Differenz zwischen der Zahl der rechtsextremen Überfälle, die von der Polizei angegeben wird, und der Zahl der Opferperspektive. Zehn solcher Straftaten sind der Polizei im vergangenen Jahr nicht bekannt geworden und 17 weitere gelten als definitiv nicht angezeigt.
Deshalb zeigte sich die Landtagsabgeordnete Ursula Nonnemacher zwar erleichtert über den Rückgang der politisch motivierten Gewaltstraftaten und die hohe Aufklärungsquote. Sie hält aber wegen der höheren Zahlen von der Opferperspektive Zweifel für angebracht, ob sich aus den offiziellen Zahlen ein gänzliches Abflauen rechtsextremer Gewalt ablesen lässt. Laut Nonnemacher kommen einige Gewalttaten gar nicht erst zur Anzeige, teilweise aus Angst der Opfer aufgrund ihres ungeklärten Aufenthaltsstatus. (Wenn Flüchtlinge illegal in Deutschland leben, werden sie es sich genau überlegen, nach einem Überfall zur Polizei zu gehen.)
Der CDU-Abgeordnete Björn Lakenmacher sieht durch »Manipulationsanweisungen« an die Polizei die »Glaubwürdigkeit der Kriminalitätszahlen« in Frage gestellt.
SPD-Fraktionschef Klaus Ness erklärte: »Dass es rechten Gruppen heute schwerer gemacht wird, ihrem Hass freien Lauf zu lassen, ist auch ein Erfolg der Zivilgesellschaft.« Dazu trugen seiner Ansicht nach viele Menschen und Initiativen bei. Wichtig sei auch gewesen, »dass der Landestag sich mit der einstimmig beschlossenen Verfassungsänderung zum Antirassismus klar positioniert hat«. Dass mehr als drei Viertel politisch motivierter Straftaten auf das Konto der Rechtsextremen gehen, belegt für Ness »die bleibende Gefahr, die von diesen Kräften ausgeht«. Das Verbot neonazistischer Gruppierungen in den vergangenen Jahren sei notwendig gewesen. Das Gedankengut sei damit jedoch nicht verschwunden.
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