Für IWF-»Hilfe«: Kiew weist Massentlassung an

Parlament billigt drastisches Sparpaket / Auch Steuererhöhungen und Subventionskürzungen Bedingung für Milliardenkredite des Westens / UN-Vollversammlung verurteilt Russland

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Mit einem Gesetzespaket, das Massenentlassungen, Steuererhöhungen und Subventionskürzungen vorsieht, hat sich das ukrainische Parlament Finanzhilfen in Milliarden-Höhe erkauft. Die Abgeordneten in Kiew stimmten am Donnerstagabend mehrheitlich für die Pläne, die als Voraussetzung für Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) gelten. Das Parlament billigte am Abend im zweiten Anlauf ein erstes Reformpaket. Es sieht unter anderem höhere Abgaben für Mineralöl, Alkohol und Tabak vor. Die Behörden wurden angewiesen, etwa 24.000 ihrer insgesamt 249.000 Angestellten zu entlassen.

Der IWF will dem Land bis zu 18 Milliarden US-Dollar Kredit (13,1 Milliarden Euro) zur Verfügung stellen, fordert dafür aber so genannte Wirtschaftsreformen. Die Ukraine stehe »am Rande des finanziellen und wirtschaftlichen Bankrotts«, mahnte der amtierende Ministerpräsident Arseni Jazenjuk in Kiew. Ohne so genannte Reformen drohe die Wirtschaft des Landes in diesem Jahr um zehn Prozent zu schrumpfen. Am Donnerstagabend machte auch der US-Kongress den Weg für Kreditgarantien in Höhe von einer Milliarde Dollar (720 Millionen Euro) frei.

Krim-Krise: Autolobby bangt um Umsätze

Die Krim-Krise kann nach Einschätzung von Automobil-Präsident Matthias Wissmann auch die Autokonjunktur in Europa beeinträchtigen. »Natürlich machen wir uns Sorgen«, sagte Wissmann der in Düsseldorf erscheinenden »Rheinischen Post«. »Derzeit sehen wir eine langsame Erholung des europäischen Pkw-Marktes, nach vier Jahren Rückgang. Wir brauchen also Stabilität und Vertrauen in die Märkte«, mahnte der Präsident des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA). »Wir beobachten die Entwicklung sehr genau. Wir unterstützen alle Maßnahmen, die zu einer friedlichen und rechtsstaatlichen Lösung führen«, sagte Wissmann.

Gabriel: Keine Alternative zu Gas aus Russland

Zum Import von Erdgas aus Russland gibt es nach Ansicht von Vizekanzler Sigmar Gabriel »keine vernünftige Alternative«. In der Debatte über die Abhängigkeit Europas von russischem Öl und Gas werde fälschlicherweise so getan, als bestünden viele andere Möglichkeiten, kritisierte der Wirtschaftsminister und SPD-Chef am Donnerstagabend auf einem Energieforum der »Neuen Osnabrücker Zeitung«, wie das Blatt berichtete. Dies sei nicht richtig. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte wenige Stunden zuvor wegen des Konflikts mit Moskau um die Krim eine Reduzierung der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gefordert. »Es wird eine neue Betrachtung der gesamten Energiepolitik geben«, sagte sie nach einem Gespräch mit dem kanadischen Premierminister Stephen Harper. Gabriel warnte zugleich vor »Panikmache« und übergroßer Furcht vor einem eventuellen Lieferstopp Moskaus. »Selbst in finstersten Zeiten des Kalten Krieges hat Russland seine Verträge eingehalten«, betonte der Minister.

Nach Ansicht von Gabriel kann Europa nun beweisen, dass es »mehr ist als eine ökonomische Zugewinngemeinschaft von mutlosen Pfeffersäcken«. Im Zweifel müssten Deutschland und die übrigen EU-Staaten bereit sein, auf wirtschaftliche Vorteile in den Außenbeziehungen zu Russland so lange zu verzichten, bis Konflikte auf dem Kontinent wieder am Verhandlungstisch gelöst würden und die Sicherheit aller Nachbarstaaten gewährleistet sei, schrieb der SPD-Chef in einem Gastbeitrag für die »Welt« (Freitag).

UN-Vollversammlung verurteilt Russland

Derweil hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York die Krim-Annexion durch Russland verurteilt. Die entsprechende Resolution fand die Zustimmung von 100 Staaten. Russland wurde von Bolivien, Venezuela, Nordkorea, Nicaragua, Simbabwe und anderen Staaten unterstützt. China enthielt sich. In der Generalversammlung haben alle 193 den Vereinten Nationen angehörenden Staaten eine Stimme.

Das Papier appelliert an die internationale Gemeinschaft, keine Veränderung der ukrainischen Grenzen anzuerkennen und eine diplomatische Lösung der Krise zu suchen. Das Referendum auf der Schwarzmeer-Halbinsel solle nicht anerkannt werden. Russland wird nicht namentlich genannt. Ein Vetorecht wie im UN-Sicherheitsrat gibt es in der Vollversammlung nicht, die Resolutionen sind allerdings nicht bindend.

»Wir sind Zeuge der gröbsten Verletzung des Völkerrechts geworden«, hatte der amtierende ukrainische Außenminister Andrej Deschtschiza zuvor gesagt. »Diese Aggression war genau vorbereitet und geplant, obwohl es nicht den geringsten Grund gab.« Sein Land habe die Nähe zu Russland gesucht. »Als wir ihnen ein militärisches Abkommen vorgeschlagen haben, lehnte Moskau ab. Es sei absurd, dass jemand die Ukraine angreife, hieß es. Wir sehen jetzt, was davon zu halten ist.«

Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin verwies auf das Referendum auf der Krim. »Die überwältigende Mehrheit hat für einen Anschluss an Russland gestimmt. Wir konnten doch nicht einfach den Willen des Volkes missachten.« Die Regierung in Kiew habe das Land nicht unter Kontrolle, Gewalt beherrsche die Politik. »Wir hingegen lehnen jede Konfrontation ab«, sagte Tschurkin.

Seine US-Kollegin Samantha Power sagte, die Werte der UN-Charta stünden zur Disposition. »Es geht hier um die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität eines unserer Mitglieder. Es geht darum, dass die Grenzen eines Landes nicht nur Empfehlungen sind.« Russland habe einfach aus seiner Position des Stärkeren gehandelt. »Eine Welt, die nach diesen Maßstäben funktioniert, wäre eine gefährliche Welt.«

Kremlchef Putin drückt derweil weiter aufs Tempo. Er rief das Parlament in Moskau auf, die wirtschaftliche und soziale Versorgung der von Kiew abtrünnigen Krim schnell gesetzlich zu regeln. Moskau will zudem seine Militärpräsenz mit der Stationierung von Überschallbombern und einem modernen Hubschrauberträger verstärken. Nach dem international nicht anerkannten Anschluss der Krim empfinden die meisten Russen einer Umfrage zufolge Stolz und ein »Gefühl historischer Gerechtigkeit«. Die Krim-Politik des Kremls sei auch ein Ausdruck für »Russlands Wiederkehr als Großmacht«. Putin selbst kommt auf Zustimmungsrekordwerte von mehr als 80 Prozent. Agenturen/nd

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