»Ist ja kein Traktor, der Otto«
Auch im Nordosten wurden die Landeszuschüsse für Rückepferde gestrichen - dabei schonen sie das Ökosystem
»Hü Otto, ho ho!«, ruft Forstwirt Michael Weinberg seinem Zugtier zu. Kräftig schnaubend legt sich der 16 Jahre alte Kaltblüter ins Zeug. Schweiß glänzt auf seinem braunen Fell, bedächtig stapft der 800 Kilogramm schwere Koloss durch den Wald bei Bantin im Biosphärenreservat Schaalsee. Hinter sich her zieht er einen dicken Eschenstamm. Laub raschelt, Äste knacken.
Otto ist einer von nur noch sieben vierbeinigen Waldarbeitern im Landesforst von Mecklenburg-Vorpommern. Drei sind im Westen beschäftigt, vier im vorpommerschen Osten. Forstpferde im Landesdienst sind eine Rarität in Deutschland, wie die Interessengemeinschaft Zugpferde (IG) feststellt.
In Mecklenburg-Vorpommern ist nicht mal ein Viertel der Fläche bewaldet. Mit rund 540 000 Hektar Forst gehört der Nordosten zu den waldärmsten deutschen Bundesländern. Der Arbeitsplatzabbau der letzten Jahre trifft auch die Tiere. So werden immer weniger Rückepferde gehalten. Ende der 1980er Jahre waren in der Region noch mehr als 150 Gespanne aktiv. 1997 verdienten sich nur noch 60 Kaltblutrosse im Landesforst ihren Hafer, die meisten wurden dann nach und nach verkauft.
Private Rücke-Unternehmen gibt es bundesweit noch etwa 80, davon 50 Profis, sagt Beate Niebauer von der IG Zugpferde. Die meisten seien in Thüringen, Bayern und Hessen tätig. Allerdings könnten die wenigsten Pferdebesitzer allein vom Holzrücken leben. Die Bundesförderung lief aus, und immer weniger Bundesländer unterstützen den Einsatz von Rückepferden, moniert die Expertin. »Dabei sind Pferde im Wald eine Augenweide für Spaziergänger, ein Argument für sanften Tourismus«, erklärt Niebauer.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern wurden die Zuschüsse wegen zu hohem Verwaltungsaufwand gestrichen. Laut Agrarministerium flossen zuletzt von 2010 bis 2013 insgesamt knapp 38 000 Euro für private Rückepferde. Deren Einsatz betraf gerade einmal 0,3 Prozent des Holzeinschlags in Privatwäldern.
Größter Nutzer des Fördertopfes war die Betriebsgemeinschaft Waldverein Bansow bei Güstrow. Deren Geschäftsführerin Kati Kruthoff befürchtet nun, dass drei ihrer sechs kleinen Rücke-Unternehmer pleitegehen, wie sie sagt. Michael Weinberg, Rückepferde-Führer im Landesforst bei Bantin, weiß, was er an seinen Vierbeinern hat. Otto zum Beispiel, ein Mecklenburger Kaltblut-Wallach, könne die Hälfte seines Körpergewichts bewegen. Rechnerisch schaffe er eine Leistung von 1,8 Pferdestärken (PS). »Waldarbeit mit Pferden, das ist so wie vor hundert Jahren, ein Stück Kulturgeschichte«, sagt der 28-jährige Forstwirt. Dabei machten die Tiere viel Arbeit. »Ist ja kein Traktor, der Otto.« Täglich müssten die Pferde gefüttert, geputzt, bewegt werden.
Tierische Forstarbeiter sind teuer, räumt Christof Darsow, Leiter des Forstamtes Radelübbe, ein. »Pferde kosten mehr als Technik.« 22 Euro Aufwand je Festmeter Holz seien beim Einsatz von Rückepferden notwendig, die Hälfte davon bei rein maschineller Ernte. Dafür schonen die Pferde das Ökosystem. Sie belasten den Boden nicht, sind wendig und beschädigen keine Bäume, die stehen bleiben sollen. Maschinen hingegen verdichten den Boden und fahren breite Schneisen in den Forst, sagt Darsow.
Gerade in strukturreichen Laub- und Mischwäldern, die selektiv durchforstet, aber nicht kahlgeschlagen werden, sei eine Kombination von Tier und Technik optimal: Pferde rücken die gefällten Bäume zu den wenigen Gassen im Wald hin. Dort nehmen Tragschlepper mit Greifern das Holz auf und transportieren es ab. Dies sei besonders in sensiblen Bereichen und auf nassen Böden ökologisch und ökonomisch sinnvoll, meint Darsow. Auch verbrauchten Pferde keinen Sprit, sie erzeugten weder Abgase noch Lärm.
Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) bezeichnete einst die Forstpferde als »Sinnbild für naturnahe, nachhaltige Waldwirtschaft«. Ziel sei der Schutz der Böden als Produktionsgrundlage sowie der pflegliche Umgang mit dem Baumbestand. Obendrein zählten alle deutschen Kaltblutrassen zu den vom Aussterben bedrohten Haustieren. Forstamtsleiter Darsow befürchtet, dass das Geld aus dem Fördertopf »Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur« fehlen wird. dpa/nd
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