Orbán wird mehr gefürchtet als geliebt

Der Philosoph Gáspár Miklós Tamás glaubt, dass Ungarns Linke neu gegründet werden muss

Gáspár Miklós Tamás (65) ist einer der bekanntesten ungarischen Intellektuellen. Geboren in Siebenbürgen, war der Philosoph in den 70er Jahren aus Ceausescus Rumänien nach Budapest geflohen, wo er 1980 seine Stellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität wegen »oppositioneller Haltung« verlor. 1989 kehrte er an die Universität zurück, war 1990 bis 1994 Parlamentsabgeordneter und arbeitete später am Philosophischen Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Mit ihm sprach für »nd« Jerko Bakotin.

nd: Nach offiziellen Angaben ist Ungarn aus der Krise, die ungarischen Finanzen sind stabiler als die vieler anderer EU-Staaten. Herr Orbán präsentiert sich als Gegner des uneingeschränkten Kapitalismus und der Brüsseler Bürokratie und als jemand, der für eine größere Rolle des Staates eintritt. Sind das die Gründe für seinen und seiner Partei Fidesz großen Erfolg bei diesen Wahlen?
Gáspár Miklós Tamás: Tatsächlich steckt die ungarische Gesellschaft in einer tiefen Krise. Mehr als drei Millionen Menschen leben unter der Armutsgrenze, es gibt eine Massenauswanderung junger Akademiker und Facharbeiter. In Ungarn hat sich ein Doppelstaat entwickelt - ein Wohlfahrtsstaat für den Mittelstand, ein autoritärer, asketischer Polizeistaat für die anderen. Das Lebensniveau der jüngeren Mittelschicht - etwa zwei Millionen Leute - ist besser als früher, aber dem Rest bleibt die Armut. Vor den Wahlen gab es natürlich auch kleine Geschenke für d...


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