Die richtige Form im falschen Spiel
Marco Reus sieht sich trotz zweier Tore gegen Real Madrid um zusätzliche Bewährungschancen vor der WM beraubt
Seine Majestät machte Überstunden. Eine Dreiviertelstunde hatte Cristiano Ronaldo bereits im Reisebus von Real Madrid verbracht, als er kurz vor Mitternacht noch einmal vors Fußballvolk trat. Die flauschig-modische Wollmütze, die schwarz und langgestreckt auf seinem Nacken ruhte, trug der Weltfußballer noch immer auf dem Kopf, der Rest von Ronaldos Körper steckte in Reals dunkelgrauem Ausgehanzug. So ließ er sich mit jedem, der wollte, gemeinsam ablichten. Die Ohrringe des Portugiesen glitzerten dazu - und rund um das Madrider Teamvehikel waberte der süße Duft von edlem Männerparfüm.
Bei Marco Reus, der 15 Meter vom Real-Bus entfernt an einem Metallzaun stand, duftete nichts. Anders als Ronaldo, der wegen seiner Kniebeschwerden 90 Minuten lang die Reservebank wärmte, war der Dortmunder an diesem Abend mehr für die sportlichen Highlights zuständig gewesen. Und die gab es beim epischen Kampf der Westfalen gegen das Aus in der Champions League zuhauf.
Meist mittendrin: Marco Reus, zweifacher Torschütze beim 2:0 gegen verdatterte Königliche, über die das Blatt »La Vanguardia« schrieb: »Real weiß jetzt, wie es ist, lebendig aus der Hölle zu kommen.« Neben seinen Treffern glänzte der frühere Gladbacher mit messerscharfen Zuspielen auf seine Mitspieler - sowie als Einpeitscher für ein Publikum, das erst einen von Torwart Roman Weidenfeller parierten Handelfmeter (17. Minute) und Reus’ ersten Streich (24.) brauchte, um seinen Glauben an ein schwarz-gelbes Wunder zu entdecken.
Auf ihre nach dem 0:3 im Hinspiel nicht ganz geglückte Aufholjagd waren die Borussen am Ende zu Recht mächtig stolz. »Unter einer Million Möglichkeiten auszuscheiden, war das hier die Beste«, beschrieb Trainer Klopp die grandiose Stimmung, die auch lange nach Schlusspfiff noch im Stadion herrschte. Dortmunds Krux: Die erste Viertelfinalpartie hatte Klopps Team so tief in den Sand gesetzt, dass auch die geballte Heimekstase den BVB-Karren nicht mehr weit genug ausgraben konnte. Damals war vor allem Stürmer Robert Lewandowski vermisst worden. Im Sommer wechselt der Pole zum FC Bayern München und soll dann - seit gestern offiziell - durch Adrian Ramos von Hertha BSC ersetzt werden
Noch in dieser Spielzeit sieht sich Marco Reus so kurz vor der WM der Gelegenheit beraubt, sich noch einpaar mal international zu präsentieren. Bundestrainer Joachim Löw hatte ihn zum Länderspiel gegen Chile im März nicht eingeladen und parallel dazu mit deutlichen Worten an die Professionalität und Mannhaftigkeit aller WM-Kandidaten appellierte.
»Die Uhr tickt und wer das versteht, der hat eine gute Chance«, betonte Löw im März. Und Reus, einer aus dem großen Kreis offensiver Mittelfeldspieler, scheint, verstanden zu haben. Die Hände trotzig in die Hosentaschen seines Trainingsanzugs geschoben, schwärmte auch er zwar von der ersten Halbzeit des BVB (»Weltklasse gespielt«), vom Klammergriff um den Gegner (»Die wussten nicht, was sie machen sollten«) oder vom eigenen »Weltklassepublikum«. Vor allem aber verfluchte er, zerknirscht wie kein zweiter Dortmunder, das Hinspiel sechs Tage zuvor.
»Ohne das erste Spiel hätte Madrid viel, viel mehr Probleme mit uns bekommen«, trauerte er der verpassten Gelegenheit hinterher. Und immer wieder betonte der ehrgeizige 24-Jährige: »Bei mir überwiegt die Enttäuschung.« Denn, erklärte Reus, in der Liga Schütze von vier der letzten fünf Dortmunder Tore, in offensiv angehauchter Bescheidenheit: »Bei mir lief es zuletzt ja ganz gut.« Und auf die Frage, ob er gerade den einen oder anderen Fingerzeig auf seine WM-Ambitionen gebe, meinte er vielsagend: »Natürlich ist es wichtig, die richtige Form für die WM zu haben.«
Unter Beweis stellen kann er die ab sofort allerdings nur noch in der Bundesliga. Und am nächsten Dienstag beim Pokalhalbfinale gegen Wolfsburg.
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