Was haben sie verbrochen?

Mario Adorf über seine Rolle als Menahem Teitelbaum in »Der letzte MenTsch«, über deutsche Schuld und Identitäten

  • Lesedauer: 12 Min.
In seinem neuen Kinofilm »Der letzte MenTsch« (Regie: Pierre-Henry Salfati), der ab 15. Mai im Kino zu sehen sein wird, spielt Mario Adorf (Jg. 1930) einen ungarischen Juden, der Theresienstadt und Auschwitz überlebt hat und sich an seinem Lebensabend auf die Suche nach seinen jüdischen Wurzeln begibt. Im Interview mit der Redakteurin von »neues deutschland« Karlen Vesper berichtet er über seine Rolle und eigene Kindheitserfahrungen und artikuliert auch seine Sorgen angesichts eines neuen Rechtsrucks in Europa.

nd: Vor 70 Jahren begann der letzte grausige Akt im Holocaust-Drama: die Deportation der ungarischen Juden. Menahem Teitelbaum ist Überlebender von Theresienstadt und Auschwitz. Um die schrecklichen Kindheitserlebnisse zu vergessen, legt er sich nach dem Krieg einen neuen Namen zu, Marcus Schwartz, und verdrängt seine jüdische Herkunft. Können Sie eine solche Reaktion verstehen?
Ich habe großes Verständnis dafür. Es ist sein eigener Entschluss, sein Weg zum Vergessen. Menahem alias Marcus glaubt, wenn er alles ablegt und ablehnt, was sein Judentum ausmacht, dann gelingt es ihm vielleicht, sich selbst davon zu überzeugen, dass all das Furchtbare, das Grauen, gar nicht stattgefunden hat. Das ist eine Ausflucht, eine Flucht.

Film und Geschichte

Der Film

»Der letzte MenTsch« erzählt die Geschichte eines ungarischen Juden, der Theresienstadt und Auschwitz überlebt hat und sich nach dem Krieg einen anderen Namen zulegte, um seine schrecklichen Kindheitserlebnisse zu verdrängen und nicht am Verlust seiner ganzen Familie zu zerbrechen. An seinem Lebensabend beschließt er, auf einem jüdischen Friedhof in seiner Heimat begraben zu werden, aber die eintätowierte Häftlingsnummer reicht dem Rabbiner nicht als Beweis für dessen jüdische Herkunft: »Wie viele Nazis haben sich die Nummern ihrer Opfer auf den Arm tätowiert, um davonzukommen?« Der Rabbi verlangt Urkunden und Zeugenaussagen; doch beides kann der alte Mann nicht bieten.

Bei seiner Reise von Köln ins Land seiner Väter und seiner Vergangenheit wird Marcus alias Menahem (Mario Adolf) von der jungen Deutsch-Türkin Gül (Katharina Derr) begleitet. Das tragikomische Roadmovie des französischen Regisseurs Pierre-Henry Salfati ist ab 15. Mai im Kino zu sehen.

Die Geschichte

Nachdem Anfang März 1944 die deutsche Wehrmacht Ungarn besetzt, den bisherigen Kumpanen, Reichsverweser Horthy, abgesetzt und einen neuen Statthalter eingesetzt hatte, mussten auch die ungarischen Juden den Gelben Stern tragen. Alle jüdischen Organisationen wurden aufgelöst und jüdische Vermögen eingezogen. Die neue Vasallenregierung erließ über 100 Gesetze, um die Juden nunmehr gänzlich aus dem wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Landes auszuschließen. Im April begann die Ghettoisierung. Bereits am 15. Mai 1944 rollten die ersten Züge nach Auschwitz. Bis zum Juli des Jahres waren schon über 400 000 Menschen in deutsch-faschistische Vernichtungslager deportiert und dort sofort in die Gaskammern geführt worden. Verantwortlich für die Ermordung der ungarischen Juden war das »Judenreferat« unter Leitung von Adolf Eichmann im Reichssicherheitshauptamt.

Als Zeitungen der Antihitlerkoalition über das Schicksal der Juden Ungarns berichteten, das Internationale Rote Kreuz, der schwedische König, der Vatikan und protestantische Bischöfe öffentlich protestierten, brachen die Nazis den Genozid offiziell ab, die Tötungsmaschinerie lief jedoch mit Unterstützung ungarischer Faschisten, der Pfeilkreuzler, weiter.

Das Holocaust-Denkmal in Budapest wie auch die Skulptur, die an den schwedischen Diplomaten und Judenretter Raul Wallenberg erinnert, sind in den letzten Jahren bereits mehrfach beschmiert oder mit Schweinefüßen geschändet worden.

Im hohen Alter jedoch wird Menahem von seiner Vergangenheit eingeholt. Er möchte bei den Seinen in Ungarn beerdigt werden, muss dafür aber erst einen Beweis für seine jüdische Herkunft erbringen. Er begibt sich auf die Spur nach seiner jüdischen Identität. Wie wichtig ist ethnische Identität?
Sie ist für jeden Menschen wichtig, stellt sich aber normalerweise für die meisten Menschen nicht in der Dramatik wie für jene, für die sie mit einem gewaltsamen Einschnitt in ihrem Leben verbunden ist, denen sie geraubt oder deren sie anderweitig zwangsweise verlustig gegangen ist.

Menahem verdrängte aus Selbstschutz. Aber vielleicht auch aus Scham? Viele Shoah-Überlebende peinigte die Frage: Warum habe gerade ich überlebt? Familienangehörige und Freunde aber nicht.
Ja, das war für viele ein lebenslanges Trauma. Wenn ein Opfer von Gewalt seine Leidenszeit zu verdrängen versucht – gänzlich gelingt es wohl kaum – , verstehe ich das. Verdrängen ist menschlich. Verdrängen ist eine Überlebensstrategie. Es gibt auch das psychologische Phänomen derart gründlicher Verdrängung unangenehmer Erfahrungen oder Erlebnisse, dass sie wirklich nicht mehr im Bewusstsein sind. Einem Massenmörder, einem Kommandeur von Einsatzgruppen oder einem KZ-Wärter nehme ich das nicht ab. Den Jungen jedoch, die noch nicht volljährig zu Ende des Krieges in den Volkssturm oder an die Front geschickt wurden, schon eher.

Wir hatten jüngst in Deutschland eine aufgeregte Diskussion um HJ-Führer und Flakhelfer, die zu unserer intellektuellen Elite gehören.

... Jürgen Habermas, Martin Walser, Walter Jens, Dieter Hildebrandt oder Günter Grass.
Ja, auch sie haben verdrängt und verschwiegen. Das war nicht richtig. Aber sie wurden meines Erachtens leichtfertig schuldig gesprochen. Grass hat sich in seiner Autobiografie »Beim Häuten der Zwiebel« ehrlich zu machen versucht. Das ist ihm nicht gedankt, sondern übel genommen worden. Aber wie viele, die blutige Schuld auf sich geladen haben, hat man in Deutschland, vor allem in den ersten Nachkriegsjahrzehnten, wissentlich nicht belangt?

Eine andere Form des Verdrängens und Verschweigens kennt man von kommunistischen Opfern Stalins. Auch aus Selbstschutz. Und aus Scham darüber, dass einem Unrecht von den eigenen Genossen angetan wurde. Oder auch, um nicht der Sache oder Bewegung zu schaden, der man angehörte und eventuell noch anhängt.
Absolut. Etwas Unbegreifliches zu begreifen, erfordert sehr viel Mut. Und es kann sehr schmerzhaft sein.

Haben Sie solche Erfahrungen gemacht?
Ich war zu Kriegsende zu jung, um ein Bedürfnis nach Verdrängung zu verspüren. Ich war ein Pimpf, habe also mitgemacht, war allerdings auch nicht ganz unkritisch.

Inwiefern?
Ich verstand nicht, warum wir jemanden, den wir auf der Straße stets grüßten, nun nicht mehr grüßen durften, weil er ein Jude sei. Ich konnte nicht anders, hielt es wie gewohnt: »Guten Tag, Herr Geheimrat.« Ich tat es, weil ich ihn mochte, in ihm keinen »Volksfeind« erkennen konnte. Und er antwortete: »Guten Tag, mein Junge«. Ganz normal.

Normalität war dies leider nicht. Selbst solche kleinen Gesten dürften für die Bedrängten und Ausgegrenzten sehr wichtig gewesen sein.
Und deshalb war der Schock so groß, als ich nach dem Krieg erfuhr, was mit den Juden bei uns passierte.

Sie sind in Mayen, einer Kleinstadt in Rheinland-Pfalz, aufgewachsen.
Dort habe ich die »Kristallnacht« erlebt. Auch die Synagoge von Mayen wurde zerstört. Ich lebte damals in einem Waisenhaus der Borromäerinnen, damit meine Mutter arbeiten konnte. Es war der 10. November 1938, früh um sechs oder sieben Uhr. Ich war im Schlafsaal, als beim allgemeinen Wecken eine Schwester meine heiße Stirn fühlte und anordnete: »Du gehst mir heute nicht in die Schule, du hast Fieber, du bleibst hier.« Das war mir recht. Uns gegenüber befand sich das Gefängnis von Mayen. Auf einmal hörte ich laute Kommandos und Geschrei. Die Saalschwester stand am Fenster, holte ein Taschentuch aus ihrem Ärmel und tupfte sich Tränen ab.

Das machte mich neugierig. Ich stellte mich neben sie auf ein Bett und sah, wie Menschen aus dem Gefängnis getrieben und auf Lastwagen verfrachtet wurden. »Was sind das für Leute?«, fragte ich die Schwester. Sie sagte: »Das sind Juden«. Ich fragte weiter: »Was haben die verbrochen?« Sie erwiderte: »Dass sie Juden sind«. Nun weinte auch ich.

Als meine Kameraden mittags zurück kamen, sagten sie zu mir: »Du hast ja was verpasst! Nach der Schule sind wir in der Marktstraße durch die zerschlagenen Schaufenster in die jüdischen Geschäfte gegangen und haben uns die Taschen mit Süßigkeiten vollgestopft.« Dank des Fiebers und der Schwester hatte ich eine andere Erfahrung gemacht.

Waren nicht auch Sie, als nichteheliches Kind einer aus der Eifel stammenden deutschen Röntgenassistentin und eines italienischen Chirurgen, in der »Volksgemeinschaft« eher ein Außenseiter? Hatten Sie Schwierigkeiten mit Ihrer Identität?
Nein. Als Jugendlicher litt ich natürlich darunter, meinen Vater nicht zu kennen. Ich begab mich später auf die Suche nach meinen italienischen Wurzeln – um zu erkennen, dass ich ein Deutscher bin.

Mit südländischem Naturell.
Den Italiener in mir kann ich nicht leugnen. Möchte ich auch nicht.

Empfinden oder empfanden Sie mitunter Scham, einem Volk anzugehören, das für die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte verantwortlich war?
Durchaus. Und nicht zu knapp. Ich lehne aber die Kollektivschuld ab. Denn sie ist nicht wahr, es gab auch andere Deutsche. Jeder in meinem Alter weiß, was er in der Nazizeit getan hat oder auch unterlassen hat und muss sich dem stellen.

Haben Sie als Pimpf – abgesehen vom Novemberpogrom 1938 - gewusst, was »Im Namen des deutschen Volkes« im »Reich« und in den okkupierten Gebieten geschah?
Nein, ich erfuhr von den vielen Morden erst nach dem Krieg. Das war eine große Enttäuschung – Enttäuschung darüber, so getäuscht worden zu sein. Mein Glück war, dass ich während meines Schauspielstudiums und später auf der Bühne oder am Filmset Lehrer und Kollegen hatte, die aus dem Exil zurückgekehrt sind, großartige Künstler, die von den Nazis verfolgt, verfemt und verjagt worden sind. Sie halfen mir, zu verstehen und zu erkennen.

Man kann nicht ein ganzes Volk schuldig erklären. Das ist Unsinn. Aber wir Deutschen müssen uns bewusst sein, dass wir eine große Schuld tragen, auch wenn wir individuell nicht schuldig sind. Vergessen hilft da überhaupt nicht, im Gegenteil, es ist gefährlich, weil es sich wiederholen kann.

Haben Sie sich vorstellen können, dass ein »Nationalsozialistischer Untergrund« sieben Jahrzehnte nach dem »Nationalsozialismus« wieder eine Blutspur durch Deutschland zieht?
Das habe ich mir überhaupt nicht vorstellen können. Obwohl ich ein Brechtianer bin, hielt ich seine Mahnung, »der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch«, für übertrieben. Er hatte recht, seine düstere Prophezeiung ist eingetreten.

1959 drehte ich den Film »Am Tag, als der Regen kam«. Regisseur und Autor war Gerd Oswald, der 1938 mit seiner jüdischen Familie in die USA emigriert ist. Produzent war Artur Brauner, ein polnischer Jude, der vor den Nazis in die Sowjetunion floh. Der Film spielt im Nachkriegsberlin. Ich bekam die Rolle eines jungen Bandenführers, ein Nazi, der grausame Verbrechen beging. Ich habe diese Rolle anfangs überhaupt nicht begriffen und wollte sie auch nicht spielen. Weil es meiner Ansicht nach solch schreckliche Geschehnissen, von denen wir nun wussten, nicht mehr geben könne. Für Oswald und Brauner war das keineswegs entschieden. Die Rolle hat mich radikal von einer Illusion geheilt.

Es ist wichtig, immer wieder zu fragen: Wie konnte das passieren? Welche Umstände befördern Ungeist und Unmenschlichkeit? Wie konnte das Volk der Dichter und Denker mehrheitlich auf Hitler hereinfallen? Was geschieht, wenn die Zahl der Arbeitslosen oder prekär Beschäftigten, wie es heute heißt, erneut auf sieben Millionen anwächst? Das sind Fragen, denen wir uns wieder und wieder stellen müssen.

In deutschen Parlamenten sitzt die NPD. In Ungarn und in der Ukraine sitzen Rechte in der Regierung. Die Kommunalwahlen in Frankreich erbrachten einen Rechtsruck. In der Schweiz gab es ein Volksbegehren gegen Einwanderung. Beängstigende Trends?
Sie belegen die irrationale Angst vor Fremden und Anderen, die es nach wie vor gibt, latent in den Gesellschaften wabert. Die Abstimmung in der Schweiz war meines Erachtens ein Fehler. Aber wie kann man den Schweizern die Furcht vor Überfremdung nehmen?

Sie scheint dem gegebenen gesellschaftlichen System immanent?
Kann sein, muss aber nicht sein. Sicherlich spielt Besitzdenken und die Angst vor materiellem Verlust und sozialem Abstieg eine Rolle. Als Karl Marx im Frühjahr 1882, ein Jahr vor seinem Tod, zur Genesungskur in Algier weilte, betrieb er auch dort intensive Studien der gesellschaftlichen Verhältnisse. Er stellte fest: Die Araber haben kein Privateigentum, sondern Gemeineigentum. Das Land ist unveräußerlich und unteilbar, gehört allen. Zuvor hatte er sich mit der Entwicklung des Gemeindeeigentums in Indien, China und Russland beschäftigt. Er lernte sogar extra Russisch. Der Mann war ein Genie.

Und deshalb wollen Sie ihn unbedingt spielen?
Er beeindruckt mich als Denker und als Mensch. Ich will keinen politisch belehrenden Film drehen, sondern einen nachdenklich stimmenden: Marx ist von der preußischen Polizei quer durch Europa gejagt worden. Wie später die Juden von den Nazis. Er war ein Genussmensch und antwortete auf Vorhaltungen, wie er denn da den Kommunismus predigen könne: Er werde ihn nicht mehr erleben. In Algier schaute er sich den im Hafen liegenden russischen Panzerkreuzer »Peter der Große« an, sah, wie zwei Kadetten geprügelt wurden und schimpft auf das Zarenreich als Hort der Reaktion. In Algier ließ er sich übrigens den Prophetenbart abrasieren.

Marx prophezeite den Untergang des Kapitalismus. Und Sie auch.
Ja, aber nicht im dogmatischen Sinne. Ich glaube, jeder Ismus kommt irgendwann an sein Ende, hat sich eines Tages überlebt, weil er die Menschen nicht mehr überzeugt. Der Kapitalismus ist mit unersättlicher Gier, zum Himmel schreiender Ungerechtigkeit und mit stetigem Wachstum verbunden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir weiter Raubbau zum Schaden der Natur und des Menschen betreiben wollen und können. Anzeichen dafür, dass meine Vermutung stimmt, gibt es zur Genüge.

Sie haben erst Philosophie und Psychologie studiert, das Studium abgebrochen und sich ganz der Schauspielerei verschrieben. Von wem erbten Sie das musische Talent?
Offenbar von meiner lateinischen Linie. Ich weiß, dass mein Vater Schauspieler werden wollte, doch das wollten seine Eltern nicht. Er stammte aus einer angesehenen Notarsfamilie in Kalabrien. Die Eltern schenkten ihm ein Pferd, damit er im Gegenzug seinen Berufswunsch aufgab.

Sie spielten vor allem Bösewichter. Zu Weihnachten aber waren Sie als Geppetto, Pinoccios Vater, auf dem Bildschirm zu erleben.
Der war mir eigentlich zu gut, zu lieb und zu nett.

Spielen Sie lieber die Bösen?
Das ist eine Theatererfahrung. Jeder, der Schiller, Goethe oder Shakespeare gespielt hat, weiß: Die besseren Rollen sind die Bösen. Die Guten sind meist langweilig. Mephisto oder Richard III. sind eine Herausforderung. Franz Moor ist viel interessanter als sein freiheitsliebender Bruder Karl Moor von den »Räubern«, der intrigante Jago ist reizvoller als der eifersüchtige Othello.

Im wahren Leben hat man aber lieber gute Menschen um sich. Keine Verräter und Mörder.
Natürlich. 1957 spielte ich in »Nachts, wenn der Teufel kam« einen Serienmörder in der Nazizeit. Obwohl ich sehr darauf geachtet habe, nicht auf böse Rollen festgelegt zu werden, fand ich mich 1963 in ersten »Winnetou«-Film gegen meinen Willen in der Rolle des gemeinen Santer wieder. Eigentlich wollte ich Karl May gar nicht spielen. Ein Kritiker belehrte mich: »Den müssen Sie spielen, das ist deutsches Kulturgut.«

Sie bekamen böse Briefe, als Sie Winnetous Schwester erschossen?
Oh ja, jahrelang. Das hat man mir nicht verziehen. Eingeschworene Winnetou-Freunde hassten mich.

Sind Sie ein Perfektionist?
Ich war von Anfang an dreigleisig, spielte am Theater, bei Film und Fernsehen mit und ich mache keine qualitativen Unterschiede zwischen den drei Genres. Beim Theater kann man bei einem Patzer nicht abbrechen. Aber auch eine Filmrolle wird nicht besser bei der sechsten, siebenten oder achten Klappe. Die erste Aufnahme ist fast immer die beste, weil das die Premiere ist. Da ist die Spannung und Anspannung am größten, das Adrenalin schießt einem in die Adern und bewirkt, dass man sich übertrifft.

Sind Sie eher ein Mann der Improvisation?
Ich improvisiere nicht gerne. Ich habe mit Rainer Fassbinder gearbeitet. Als ich ihn einmal fragte:»Sage mal, die Tür hat gewackelt und es gab einen Versprecher. Willst Du die Szene nicht noch einmal drehen?« Da sagte er: »Willst Du es noch mal machen? Willst Du es perfekter haben?« Er brauchte das nicht. Wenn Fassbinder Perfektionist gewesen wäre, hätte er sicher keine 30, 35 Filme innerhalb von ein paar Jahren gedreht. Er war in Gedanken schon immer beim nächsten Projekt. Aber das war nicht meine Art zu arbeiten. Und so habe ich mit Barbara Sukowa heimlich geprobt. Und Fassbinder wunderte sich, wie gut wir miteinander konnten.

Im Film »Der letzte Mentsch« werden Sie von einer jungen Deutsch-Türkin begleitet, die auch nach ihrer Identität sucht. Erdogan scheint von einem neuen Osmanischen Reich zu träumen. Und unsere Politiker meinen, Deutschland sei zu groß, um nicht mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen, inklusive Militäreinsätze. Was sagen Sie, ein Kind des Krieges, zu solcherart neuer nationaler Identität?
Ich finde das sehr bedenklich und bin sehr skeptisch. Was hat denn der Krieg in Afghanistan gebracht? Was wollen wir da unten in Afrika? Gibt es internationale Zwänge? Das ist doch Kokolores. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt Militäreinsätze im Ausland ab. Die Politik darf sich nicht über Volkes Wille hinwegsetzen. Jedenfalls in einer Demokratie nicht. Und wir leben doch in einer Demokratie, oder?

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