Sieg ohne Königsmord

Go ist ein Strategiespiel mit meditativen Momenten und rituellem Steineschnipsen

  • Lesedauer: 4 Min.
Das Spiel Go könnten nur Außerirdische erfunden haben, schwärmte einst Deutschlands bisher einziger Schachweltmeister, der legendäre Emanuel Lasker. Durchaus von dieser Welt und dazu eine bekannte Spielerin ist die Hamburgerin Steffi Hebsacker. Die 46-jährige Industriekauffrau berichtet nd-Autor René Gralla von meditativen Momenten und rituellem Schnipsen der Steine im Turniersaal.

nd: Ein Professor aus Korea, dort ist Go unter dem Namen »Baduk« ähnlich populär wie in Japan, hat Schach einst als einfaches Spiel für einfache Menschen abgetan. Die wahre intellektuelle Herausforderung sei hingegen Go. Geben Sie dem Mann recht?
Hebsacker: Das Schwierige am Go ist insbesondere der Anfang. Während du im Schach klare Vorgaben hast, wie du mit welchen Figuren aus der Anfangsstellung vorgehen kannst, sitzt du beim Go vor einem leeren Brett mit 361 Positionen. Und du musst dich entscheiden, wie du beginnen, wohin du den ersten Stein setzten willst.

Wann haben Sie Ihre Liebe zum Go entdeckt?
Eigentlich bin ich Kampfsportlerin, also Judo und Karate. Das brachte mich später zu Kendo, dem Schwertkampf der Samurai, und zu Iaido, der Kunst des Schwertziehens. Das motivierte mich, tiefer in die japanische Kultur einzusteigen, und folgerichtig fand ich es äußerst spannend, dass auch die Samurai Go gespielt haben. Mein aktuelles Rating ist der 4. Kyu.

Von China nach Japan
Das Szenario des Go simuliert das Ringen zweier Generäle um ein bisher herrenloses Gebiet, auf dem sie ihre Claims abstecken. Die Gegner setzen linsenförmige weiße und schwarze Steine auf die Schnittpunkte eines quadratischen Gitternetzes mit insgesamt 361 Positionen. Am Ende siegt derjenige, der aus der Kombination strategischer Punkte, die mit eigenen Steinen eingeschlossen worden sind, plus eventuell dabei gefangener gegnerischer Steine einen Vorsprung herausgearbeitet hat. In der Gegenwart zählt neben Japan auch Korea zu den führenden Go-Nationen. Go stammt unter dem Namen »Weiqi« ursprünglich aus China. Im 8. Jahrhundert kam es nach Japan. Unter dem Namen »Go« wurde es dermaßen beliebt, dass es heute für traditionsbewusste Japaner - übrigens auch für emsige Kreuzworträtsellöser weltweit - untrennbar zur japanischen Kultur gehört. gra

 

Abgesehen vom Mythos der Samurai: Was gibt Ihnen das Go?
Das Spiel empfinde ich als geradezu meditativ - insbesondere vor dem ersten Zug, wenn du das leere Brett siehst und weißt, bald wird sich quasi aus dem Nichts etwas unglaublich Spannendes entwickeln.

Muss ich für Go bestimmte Fähigkeiten mitbringen?
Sie sollten visuell denken können, um jene unsichtbaren Linien zu erkennen, aus denen mal Gebietsgrenzen werden könnten. Und Sie müssen gerade in der Anfangsphase wissen, mit welchen Zügen Sie kontern, nachdem Sie die Strategie des Gegners erkannt haben.

Im Go versuchen die Spieler, Ketten aus Steinen zu bilden, die ein möglichst großes eigenes Territorium markieren. Wie kriege ich das hin, auf dem Riesenbrett?
Starke Leute analysieren die räumlichen Relationen, die zwischen den Steinen bestehen, und berechnen tatsächlich lange Zugfolgen. Schwächere Kandidaten müssen ihrer Wahrnehmung, ihrem Gefühl und ihrer Intuition vertrauen. Das gilt übrigens auch für mich. Ich versuche das dann, mit Kampfgeist und Erfahrung wettzumachen.

Legt es der Gegner darauf an, alle meine Aktionen sofort zu konterkarieren - und reagiere ich in gleicher Weise - , wird am Ende niemand ein Gebiet für sich reklamieren können.
Aber dann erreicht auch niemand sein Ziel. Anders als im Schach ist Grundidee des Go ja nicht die totale Vernichtung indem der feindliche König vom Thron gestürzt wird, sondern man muss ein Areal beherrschen, das größer ist als das Territorium des Gegners. Demnach wird eher selten derjenige reüssieren, der total destruktiv spielt, indem er angreift, obwohl Lücken in der eigenen Front klaffen. Viel erfolgversprechender ist es, sich da zwischendurch etwas zurückzunehmen und den anderen ruhig machen zu lassen.

Die Ketten der Steine wirken geheimnisvoll und ästhetisch. Ist das eine zusätzliche Befriedigung für Sie?
Keine Frage! Nicht zu vergessen das Spielmaterial: edles Holz plus exquisite Steine aus Muscheln, die eigens dafür gezüchtet werden, das ist schlicht und schön. Dazu der unverwechselbare Klang, wenn Profis die Steine schulmäßig setzen, mit einer traditionellen Technik, die eine Art rituelles Schnipsen ist.

Falls ich mich einmal im Go versuchen möchte: Können Sie mir Tipps geben?
Besorgen Sie sich ein paar Bücher, Literatur für Anfänger und Fortgeschrittene gibt es reichlich auf dem Markt. Falls Sie es trotzdem im Selbststudium nicht schaffen, sollten Sie einen kompetenten Lehrer engagieren. Wichtig ist außerdem das praktische Spiel, aber fangen Sie möglichst nicht gleich mit dem normal großen Brett an.

Sie haben Ihr Hobby inzwischen zum Beruf gemacht, leiten zusammen mit Ihrem Mann einen Spezialverlag. Können Sie davon leben?
Der Verlag läuft zwar stabil, trotzdem brauchen wir beide nebenbei noch Teilzeitjobs.

Gehirnjogging ist ein aktuelles Thema gerade in der Geriatrie. Ist Go für ältere Menschen nicht viel zugänglicher als Schach?
Auf jeden Fall. In Deutschland ist Go allerdings noch ein Nischensport. Im Deutschen Go-Bund sind etwas mehr als 2000 Aktive organisiert, dazu kommen geschätzt 20 000 bis 30 000 Fans, die privat zu Hause spielen. Trotzdem gibt es immer wieder überraschende Erlebnisse: So habe ich mal Kontakt mit einer 70-Jährigen gehabt, die zusammen mit ihrer Mutter Go lernen wollte. Offenbar war die alte Dame schon über 90 Jahre alt.

Turniere und weitere Infos auf der Website des Deutschen Go-Bundes: www.dgob.de ; Spielmaterial und Literatur: www.hebsacker-verlag.de

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