Freiflächen für Femen-Frauen!
Man könnte annehmen, dass das Stadtbild vom Internet profitiert. Zum einen wäre doch eigentlich davon auszugehen, dass all die bedauernswerten Pubertierenden, die sich 24 Stunden am Tag in den asozialen Netzwerken gegenseitig beleidigen, dies im Schutz geschlossener, abgedunkelter Räume tun - Straßen und Parks demzufolge unbeschädigt blieben von deren blassen Aknegesichtern. Zum anderen hat das Netz derart unbegrenzte Möglichkeiten geschaffen, einander seine Meinung mitzuteilen, dass das Anbringen orthografisch und grammatikalisch mangelhafter, politisch allerdings höchst bedenklicher Parolen auf Häuserfassaden, Brückenpfeilern, S-Bahn-Karosserien etc. durchaus nicht länger erforderlich wäre. Seltsamerweise ist dem aber nicht so.
Stattdessen beobachten wir, nicht ohne Faszination, dass das inflationäre Kommentarwesen längst die Kapazität der Bausubstanz überlastet. Aus der Not heraus, dass alle Wände voll sind und ihnen das Internet als Ausweichoberfläche nicht genügt, erweisen sich insbesondere junge Frauen seit einiger Zeit als überaus erfinderisch: Sie bemalen ihre entkleideten Oberkörper mit aufrührerischen Botschaften in zittrig aufgetragenen Lettern, um der beschämten Öffentlichkeit idealerweise vor laufenden Kameras mitzuteilen, dass ihre baren Brüste Waffen gegen den Sexismus und mancherlei andere reaktionäre Schweinerei seien.
Wie alle wirklich beunruhigenden Phänomene der jüngsten Vergangenheit stammt auch Femen aus der Ukraine, ist jedoch längst in Berlin angekommen, um den Leuten Angst vorm nächsten heißen Krieg zu machen. Wer wollte den beschrifteten Amazonen die Flucht aus Kiew auch verübeln, wo der männlich dominierte »Rechte Sektor« beim Maidan-Krieg gegen die Janukowitsch-Regierung denn offenbar doch mit den schlagkräftigeren Argumenten aufwarten konnte? Da das Fernsehen momentan vollgestopft ist mit Zehntausenden zwar unsichtbaren, aber dennoch jede Sendeminute annektierenden Soldaten der Russischen Föderation, passen die Femen-Frauen da derzeit nicht rein. Überhaupt scheint uns, dass der Flatscreen-Boom ihrer Form des Protests nicht eben förderlich ist.
Man wäre nicht erstaunt, wenn die Barbusigen, dieser medialen Flaute wegen, demnächst Berliner Bürgern nachts in deren Hausfluren auflauerten, um sie mit ihren Botschaften zu erschrecken. Ich glaube, bei uns im Hinterhaus war letztens schon eine. Da sie niemanden antreffen konnte (alle Nachbarn schlummerten wohl gerade vor ihren Flatscreens), hat sie ihre Nachricht mit einem Edding auf der weißen Wand im Hochparterre hinterlassen. In fetten schwarzen Lettern ist dort nun zu lesen: »Support your local feminists!« Am Morgen darauf zwang mich meine sechsjährige Tochter, deren Englisch noch unverzeihliche Lücken aufweist, den Spruch zu übersetzen. Ich nahm sie in den Arm und sagte: »Wir sollen der Mutti im Haushalt schön helfen.«
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