Tradition und Werte
Jürgen Amendt über das Urteil zum Ethikunterricht
Auf den ersten Blick hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsauffassung der baden-württembergischen Landesregierung bestätigt. Ist der Fall damit erledigt? Wohl kaum, und das nicht nur deshalb, weil die Mutter, die für ihr Kind bis vor das höchste Verwaltungsgericht gezogen ist, ankündigte, jetzt beim obersten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, den Streitfall klären zu lassen. Die Frage, wie oder ob überhaupt Werte in einem eigenständigen, konfessionsübergreifenden oder gar konfessionsfernen Fach vermittelt werden sollten, wird die Gesellschaft und die Politik in den nächsten Jahren immer mehr beschäftigen müssen.
Die Richter haben das in ihrer Urteilsbegründung angedeutet, indem sie ihr »traditionelles Verständnis« des Grundgesetzes betonten. Religion sei per Grundgesetz als ein ordentliches Fach garantiert, aus diesem Privileg der Religionsgemeinschaften ergebe sich aber nicht eine Verpflichtung des Staates zur Wertevermittlung, sollten die religiösen Verbände dieses Privileg irgendwann nicht mehr nutzen wollen.
Oder es nicht mehr können. Die Zahl der religiös bzw. kirchlich gebundenen Bürger in Deutschland sinkt, in den östlichen Landesteilen sind sie gar in der Minderheit. Auf lange Sicht wird diese Gesellschaft eine Antwort auf die Frage finden müssen, ob die traditionelle Auslegung des Grundgesetzartikels noch vertretbar ist. Die Stimmen, die von dieser Tradition abweichen wollen, werden stärker werden.
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