Tradition und Werte
Jürgen Amendt über das Urteil zum Ethikunterricht
Auf den ersten Blick hat das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsauffassung der baden-württembergischen Landesregierung bestätigt. Ist der Fall damit erledigt? Wohl kaum, und das nicht nur deshalb, weil die Mutter, die für ihr Kind bis vor das höchste Verwaltungsgericht gezogen ist, ankündigte, jetzt beim obersten deutschen Gericht, dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, den Streitfall klären zu lassen. Die Frage, wie oder ob überhaupt Werte in einem eigenständigen, konfessionsübergreifenden oder gar konfessionsfernen Fach vermittelt werden sollten, wird die Gesellschaft und die Politik in den nächsten Jahren immer mehr beschäftigen müssen.
Die Richter haben das in ihrer Urteilsbegründung angedeutet, indem sie ihr »traditionelles Verständnis« des Grundgesetzes betonten. Religion sei per Grundgesetz als ein ordentliches Fach garantiert, aus diesem Privileg der Religionsgemeinschaften ergebe sich aber nicht eine Verpflichtung des Staates zur Wertevermittlung, sollten die religiösen Verbände dieses Privileg irgendwann nicht mehr nutzen wollen.
Oder es nicht mehr können. Die Zahl der religiös bzw. kirchlich gebundenen Bürger in Deutschland sinkt, in den östlichen Landesteilen sind sie gar in der Minderheit. Auf lange Sicht wird diese Gesellschaft eine Antwort auf die Frage finden müssen, ob die traditionelle Auslegung des Grundgesetzartikels noch vertretbar ist. Die Stimmen, die von dieser Tradition abweichen wollen, werden stärker werden.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.