Mindestens fünf Tote bei Armee-Operation in Ostukraine

Tausende Soldaten rücken gegen »prorussische« Milizen vor/ Russland reagiert mit Militärmanöver

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Kiew. Russland hat als Reaktion auf die Gewalt im Osten der Ukraine ein großangelegtes Militärmanöver an der gemeinsamen Grenze begonnen. Das teilte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Donnerstag der Agentur Interfax zufolge mit. Zu der Übung gehörten auch Beobachtungsflüge, um die Lage an der Grenze aufzuklären.

Zuvor ging die vom Westen unterstützte Regierung in Kiew am Donnerstagmorgen gegen die zum Teil bewaffneten Milizen im Osten der Ukraine vor. In mehreren Orten halten Demonstranten Verwaltungsgebäude besetzt. Sie fordern einen föderalen Staat mit weitgehenden Autonomierechten für das russisch geprägte Gebiet. Bei der »Anti-Terror-Operation« gab es allein am Donnerstag in der Stadt Slawjansk mindestens fünf Tote.

Die Situation auf der ukrainischen Seite sei besorgniserregend, betonte Schoigu. Es seien 11 000 Mann der ukrainischen Regierungstruppen im Einsatz gegen die »friedliche Bevölkerung«. Die Kräfte seien ungleich verteilt. »Wenn diese Kriegsmaschine heute nicht gestoppt wird, dann wird dies zu einer großen Zahl Toter und Verletzer führen«, sagte der Minister. Schoigu kritisierte zudem, dass die Verstärkung der Nato-Militärpräsenz in Polen und im Baltikum die Lage weiter angeheizt habe. »Wir mussten auf diese Entwicklung der Situation reagieren«, betonte Schoigu.

Russland und die USA verschärfen Ton

Zuvor hatten die USA und Russland ihre Rhetorik noch einmal verschärft. »Ich bin besorgt über die russischen Erklärungen, die der Ukraine mit einer Militäraktion drohen«, erklärte NATO-Vize-Generalsekretär Alexander Vershbow in Brüssel. »Russland hat die Verantwortung, die Situation zu beruhigen statt sich einer zündelnden Rhetorik zu bedienen.« Vershbow reagierte auf Äußerungen des russischen Außenministers Sergej Lawrow, der erklärt hatte, würden »die Interessen der Russen angegriffen, so wie es in Süd-Ossetien war«, sehe er keine Alternative zu einer »Antwort«. Um die abtrünnige Kaukasusregion Süd-Ossetien hatten Russland und Georgien im Sommer 2008 einen kurzen Krieg geführt. In der Folge erkannte Russland das Gebiet sowie die ebenfalls von Georgien abtrünnige Region Abchasien als unabhängig an.

Im Osten der Ukraine fordern Aktivisten eine Loslösung beziehungsweise stärkere Autonomie von Kiew. In mehreren Städten haben sie Verwaltungsgebäude besetzt. Am Dienstag hatte die ukrainische Regierung die Wiederaufnahme eines »Anti-Terror-Einsatzes« der Sicherheitskräfte in der Region angeordnet. Bei dem Einsatz wurde am Mittwoch nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums die von als prorussisch bezeichneten Kräften kontrollierte Stadt Swjatogorsk »befreit«. Nun würden Patrouillen der regulären Sicherheitskräfte des Landes die 5000-Einwohner-Stadt kontrollieren. Ein AFP-Reporter berichtete allerdings aus Swjatogorsk, dass keinerlei Sicherheitskräfte zu sehen seien. Bewohner berichteten zudem, dass ihre Stadt nie unter Kontrolle der als prorussisch bezeichneten Kräfte gewesen sei.

Zu dem »Anti-Terror-Einsatz« der ukrainischen Sicherheitskräfte sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow, dieser sei genau in dem Moment von Kiew angekündigt worden, als US-Vizepräsident Joe Biden in der ukrainischen Hauptstadt gewesen sei. Dies zeige ganz klar, »dass dies die Show der Amerikaner ist«, sagte Lawrow. Zugleich wies er jeden Einfluss Moskaus auf die Bewaffneten zurück und warnte mit Blick auf die Offensive der ukrainischen Truppen: »Jeder Angriff auf russische Bürger ist ein Angriff auf die Russische Föderation.« Jen Psaki, Sprecherin des US-Außenamts, nannte Lawrows Äußerungen »kontraproduktiv und aufrührerisch«. Sie glaube, »viele der von ihm gemachten Vorwürfe sind lächerlich und sie entsprechen nicht den Fakten vor Ort«.

Beweise für Einfluss Moskaus seien »gefälscht«

Anfang der Woche hatten die USA mehrere Fotos präsentiert, die nach Angaben Washingtons »Beweise« dafür sind, dass einige der bewaffneten Kämpfer in der Ostukraine in Wahrheit russische Militärs oder Offiziere des russischen Geheimdienstes sind. Diese Fotos bezeichnete wiederum Lawrow als »gefälscht«. Das einzige, was Washington anhand der nach seinen Angaben am Computer manipulierten Fotos vorbringe, sei die Existenz russischer Waffen. Dies sei allerdings »nicht sehr überzeugend«, da in der Ukraine leichte russische Waffen wie Kalaschnikows oder Makarow-Revolver sehr weit verbreitet seien. US-Außenminister John Kerry hatte der Regierung in Moskau zuvor bereits vorgeworfen, sich nicht ernsthaft um eine Beruhigung der Lage zu bemühen. Wegen des Konflikts hatten die Vereinigten Staaten Soldaten zu Übungen nach Polen und ins Baltikum entsandt.

Nach dem Genfer Abkommen zwischen Russland, den USA und der EU sowie der Ukraine müssen alle paramilitärischen Gruppen ihre Waffen abgeben und besetzte Gebäude räumen. Russland und die Ukraine streiten aber über die Auslegung der Beschlüsse. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier rief Moskau und Kiew auf, zur Deeskalation beizutragen. Bei einem Besuch in der früheren Sowjetrepublik Moldau mahnte er, die in Genf mühevoll erkämpfte Chance dürfe nicht ungenutzt verstreichen. »Jeder Tag, der vergeht wie das vergangene Wochenende, mit steigender Gewalt, mit einer wachsenden Anzahl von Besetzungen öffentlicher Gebäude, jeder dieser Tage macht eine Lösung immer schwieriger.« Es müssten alle diplomatischen Mittel genutzt werden, um die Genfer Vereinbarung mit Leben zu füllen. »Die Uhr tickt«, sagte er.

In Slawjansk sollen Aktivisten nach eigenen Angaben weiter einen Journalisten mit US- und israelischer Staatsbürgerschaft festhalten. Simon Ostrovsky vom US-Magazin »Vice« stehe im Verdacht, ein Spion der ultranationalistischen Gruppe Rechter Sektor zu sein, behauptete der selbst ernannte Bürgermeister von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow. Eine Bestätigung der Behörden gab es zunächst nicht. Der russischen Internetzeitung gazeta.ru sagte Ponomarjow: »Wir brauchen Gefangene. Wir brauchen Verhandlungsmasse.« In Slawjansk und der nahen Stadt Gorlowka sind nach Informationen örtlicher Medien in der vergangenen Woche bis zu 16 Menschen verschleppt worden. Agenturen/nd

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