Buntes Leben für den Problemkiez
Oberschöneweide erhält eine Strandbar - und Neonazis werden zurückgedrängt
Noch ist es eine riesige unsanierte ehemalige Industriehalle mit einem Haufen Schutt darin, durch die Mathias Onken läuft. Ende Mai schon will er hier eine Strandbar eröffnen. »Der Sand wird angefahren«, schwärmt er, während er mit dem Arm über die karg begrünte Freifläche am Spreeufer fährt. »Strandkörbe, Tische und Stühle werden hier stehen.« Und die Fußball-WM soll in und vor der Halle übertragen werden.
Mathias Onken läuft weder durch das Regierungsviertel noch durch Friedrichshain-Kreuzberg, sondern durch einen Berliner Schmuddelkiez. Durch einen, den man nicht mit Strandbar und urbanem Leben, sondern mit Zerfall und Nazis identifiziert: Oberschöneweide. Aus Mitte wurde vor zwei Jahren die einstige Strandbar »Kiki Blofeld« verdrängt. Hier soll sie wieder auferstehen. Ob sein damaliges Stammpublikum den Weg an die südöstliche Peripherie der Stadt findet, weiß Onken nicht. Aber seine Hoffnung liegt nur 300 Meter entfernt und ebenfalls am Spreeufer: Die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). »Hier gibt es 13 000 Studenten, die kaum Freizeitmöglichkeiten in der Nähe haben«, sagt der junge Mann. Einige seien schon bei ihm gewesen und hätten nach Kellnerjobs gefragt. Und die Nazis, die Ober- und Niederschöneweide als ihr Wohnzimmer betrachten? »Es geht doch nicht, dass wegen denen nicht auch hier mal was passiert«, sagt Onken. »Ich lasse mich von denen nicht beeinflussen.«
Mathias Onken gehört zu den Vertretern der Kreativwirtschaft, die nach dem Willen des Bezirks Treptow-Köpenick dem Problemkiez buntes Leben einhauchen sollen. So buntes, dass die Nazis sich dort nicht mehr wohlfühlen. Es sind vor allem die denkmalgeschützten alten Industriehallen am nördlichen Spreeufer, die seit der Wende größtenteils leer stehen und in denen jetzt Firmen eine neue Bleibe suchen, die aus Mitte oder vom Moritzplatz verdrängt wurden. Neben der Strandbar werden in einer Halle Fußballtribünen produziert. Ein paar Hallen weiter gibt es eine Bronzegießerei, Druckereien und Künstlerateliers.
»Noch steht weit über die Hälfte der ehemaligen Industriehallen leer«, sagt Thomas Niemeyer. Er ist Projektentwickler und sein Job ist es, den Hallen neues Leben einzuhauchen. »Aber in letzter Zeit mehren sich die Anfragen.« Niemeyer kann ins Schwärmen geraten, wenn er sich die Gegend in fünf Jahren vorstellt. »Es wird einen Uferweg geben. Dann kann man hier die Nähe zur Spree erleben.« Zwei Reedereien werden in Kürze ihren Sitz von Kreuzberg nach Oberschöneweide verlegen. »Und dann wird auch der Stadtplatz belebt werden.« Was er »Stadtplatz« nennt, ist im Moment ein Haufen Beton unweit des Spreeufers. Immerhin sitzen zwei Rentnerinnen auf den Bänken und schauen auf das gegenüberliegende Spreeufer in Niederschöneweide. Dorthin, wo diesen Monat die Nazikneipe »Zum Henker« geschlossen wurde.
Was aus der einstigen Kaschemme wird, ist noch völlig offen. Die Piratenabgeordnete Susanne Graf will sich hier ihr Wahlkreisbüro einrichten. Eine Nachnutzung, der Niemeyer viel abgewinnen kann.
Die Wilhelminenhofstraße hängt voll mit NPD-Wahlplakaten. Auch nach »Henker« und dem abziehenden Militaria-Laden »Hexogen« beansprucht die rechtsextreme Partei die Gegend als ihr Wohnzimmer. »Wir haben keinen Grund, uns zurückzulehnen«, sagt Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. NPD-Funktionäre und ihre Anhänger wohnen hier. »Dennoch können wir stolz sein, dass sich die Situation durch jahrelanges Engagement der Zivilgesellschaft zu entspannen beginnt.«
Auf der Habenseite sieht die Rechtsextremismus-Expertin neben dem Ende der beiden berüchtigten Naziläden auch einen Vertrag mit zwei landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Die verpflichten Mieter bei neugeschlossenen Gewerbemietverträgen jetzt, keine rechtsextremen Aktivitäten in den Räumen zuzulassen. Klose: »Damit können wir verhindern, dass der nächste Nazitreff entsteht. Denn die Erfahrungen von «Henker» und «Hexogen» haben gezeigt, dass es schwierig und langwierig ist, sie wieder loszuwerden.«
Neben kreativem Gewerbe setzen beide Schöneweides auch auf mehr studentisches Wohnen. 1000 Wohnheimplätze für Studenten sind das ehrgeizige Ziel von Thomas Niemeyer. »Wenn die Studenten der HTW hier nicht nur studieren, sondern auch wohnen, haben wir ein ganz anderes Flair.« Das erste Studentenwohnheim wurde im Dezember eröffnet. Die rund 100 Plätze waren sofort besetzt. Henrike Krüger von der Insel Rügen ist eine von ihnen. »Ich schätze den Ortsteil als ein ruhiges Viertel, wo ich mir die Miete leisten kann«, sagt sie. Nazis hat sie bisher nur über die Plakatierung wahrgenommen. Ihr chinesischer Kommilitone Li Wang sieht das anders. »Am S-Bahnhof Schöneweide wurde ich schon öfter angepöbelt«, so seine Erfahrungen. Wenn er abends aus der Stadt nach Hause komme, nehme er da schon mal einen Umweg in Kauf.
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