Dasselbe Gericht, dieselben Urteile
Erneut wird in Ägypten in einem politischen Prozess hundertfach die Todesstrafe verhängt
Derselbe Richter, derselbe Gerichtssaal, dieselbe Vorgehensweise: Saed Jussef, jener Richter, der bereits vor etwas mehr als einem Monat mit einem Massentodesurteil gegen 529 angebliche Unterstützer der Muslimbruderschaft international für Entsetzen gesorgt hatte, verhängte am Montag am Ende eines ebenso kurzen Prozesses die Todesstrafe gegen 683 Menschen - unter ihnen auch Mohammad Badi'e, der bei seiner Festnahme im vergangenen August Vorsitzender der Muslimbruderschaft war.
In einem separaten Verfahren hob Richter Jussef allerdings auch die Todesurteile gegen 492 der Angeklagten aus dem ersten Massenprozess in 25-jährige Haftstrafen um. Der Grund für dieses Manöver: Richter in der ersten Instanz empfehlen zunächst einmal nur die Todesstrafe. Diese Empfehlung wird dann vom Großmufti, der höchsten religiösen Instanz Ägyptens überprüft, bevor dann das eigentliche Urteil ergeht, gegen das dann aber auch eine Revision möglich ist. In diesem Fall hatte sich der Großmufti in 37 der 529 Fälle für die Todesstrafe ausgesprochen. Das gleiche Prozedere wird dementsprechend nun auch auf die Empfehlung im zweiten Prozess folgen; die Verkündung der endgültigen Urteile wurde auf den 21. Juli festgesetzt.
Menschenrechtler aber auch viele ägyptische Juristen sind entsetzt: »Es gibt keinen Menschen, der 6000 Seiten an Gerichtsakten in so kurzer Zeit lesen, verstehen, und bewerten kann«, sagt Mohammed Abdel Fatah Ali, einer der Verteidiger. Und bei der ägyptischen Anwaltskammer kann man auch belegen, dass der Richter die Akten nicht gelesen haben kann. Bei der Interessenvertretung hat man die Entlastungsbeweise gesammelt, die die einzelnen Verteidiger zusammen getragen haben, aber vor Gericht nicht einbringen durften.
Aus diesen Beweisen ergebe sich, so die Anwaltskammer, dass eine erhebliche Zahl der Angeklagten in beiden Prozessen nicht einmal der Muslimbruderschaft nahesteht, viele hätten sich zum Zeitpunkt des Geschehens, der Tötung von zwei Polizisten bei der Stürmung einer Polizeistation in der südägyptischen Stadt Minja, nicht einmal in der Nähe der Stadt befunden. Ein Anwalt sei erst nach Anklageerhebung der Liste der Angeklagten hinzugezogen worden, nachdem er einen Streit mit einem Polizisten hatte.
Vertreter der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten verurteilten die Massenurteile auch dieses Mal. Doch Sprecher der US-Regierung machten gleichzeitig deutlich, dass es wohl derzeit keine weitere politische Intervention geben werde. Man halte auch an der Lieferung von zehn Apache-Helikoptern an Ägypten sowie der teilweisen Wiederaufnahme der Militärhilfen fest, die erst in der vergangenen Woche bekannt gegeben worden war.
Denn für die USA stehen derzeit im Verhältnis zu Ägypten geopolitische Erwägungen im Vordergrund: Da Ägyptens Fluggerät nahezu komplett von amerikanischen Unternehmen gewartet wird, gibt es im Land selbst nicht das notwendige Know-how. Ohne Wiederaufnahme der militärischen Zusammenarbeit hätte Ägyptens Luftwaffe, die übrigens auch teilweise zur Niederschlagung von Massenprotesten eingesetzt wird, demnächst am Boden bleiben müssen.
Und das hätte wiederum Israel Probleme bereitet, dass die Sicherheitslage auf der Sinai-Halbinsel mit Sorge betrachtet: Zwar erklärte Kairo Ende vergangener Woche, man habe dort nun wieder alles unter Kon᠆trolle. Dennoch gab es dort auch am Montag wieder gewaltsame Auseinandersetzungen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.