Radikale Reformen für Serbien
Ungewöhnlich große Mehrheit in Belgrad für Regierung Vucic
Die neue serbische Regierung, die am Sonntagabend bestätigt wurde, besteht aus 18 Ministern, von denen ein Drittel parteilose Experten sind. Zu ihnen gehören Finanz- und Wirtschaftsminister Lazar Krstić und Dušan Vujović. Kaum größer ist die Zahl der Kabinettsmitglieder aus Vučićs Serbischer Fortschrittspartei (SNS) - einschließlich des Regierungschefs sind es sieben. Dabei hat die SNS im Parlament im Ergebnis der vorgezogene Wahlen vom 16. März fast eine Zweidrittelmehrheit.
Warum hat sich Vučić, der schon lange und auch als Vizepremier als «mächtigster Mensch Serbiens» galt, dafür entschieden? Die Antwort findet sich vielleicht in einer Bemerkung vor drei Wochen: «Ich bin überzeugt, dass wir die nächste Wahl verlieren werden. Genau wie Gerhard Schröder, der die schwierigsten Reformen in Deutschland durchgeführt hat.»
Als die drei wichtigsten Ziele der neuen Regierung nannte Vučić vor den Abgeordneten: Wirtschaftsreform, Entwicklung des Privatsektors und Konsolidierung der Staatsfinanzen. In anderen Worten sind das ernsthafte Sparmaßnahmen. Es geht um die Privatisierung vieler öffentlicher Unternehmen, «Liberalisierung» der Arbeitsgesetze und Lohnkürzungen im öffentlichen Sektor. Kein Wunder, dass er seit kurzem immer wieder «Schweiß und Tränen»-Reden hält und gern die britische Eiserne Lady Margaret Thatcher zitiert.
«Es ist einfach zu erklären, warum Vučić eine solche Regierung zusammengestellt hat. Er möchte die Verantwortung auf breitere Schultern verteilen. Wenn etwas nicht gut geht, werden die Experten schuld sein. Es gibt auch noch einen etwas banalen Grund: die SNS hat einfach nicht das qualifizierte Personal, um alle Ministerien wie es nötig wäre zu besetzen, sagte dem »nd« Miloš Vasić, Journalist der »Vreme«-Wochenzeitung und Kenner des politischen Angelegenheiten Serbiens.
Laut Vasić gibt es sogar erhebliche Einsparmöglichkeiten. Das betrifft insbesondere den aufgeblähten Staatsdienst. Sogar der zuständige Finanzminister wisse nicht, so der Journalist, ob es hier um 750 000 oder 800 000 Leute gehe. »Andererseits hoffe ich, dass uns Gott vor Reformen der Arbeitsgesetzgebung bewahren möge. Seit Jahren haben alle Reformen nur zu einer noch schärferen Ausbeutung der Arbeiterklasse geführt.«
Tatsächlich sei Vučić nicht mehr als ein durchaus fähiger Pragmatiker, meint Vasić. Ende der 90er Jahre war der damals 28-Jährige Propagandaminister unter Slobodan Milošević und »für einen unglaublichen Terror gegen die Medien verantwortlich«. Vučić zeigte auch ein großes Talent für ideologische Wandlungen: Früher großserbischer Nationalist und Mitglied der Serbischen Radikalen Partei des Vojislav Šešelj, gegen den ein Kriegsverbrecherprozess beim Haager Tribunal läuft, ist er zum überzeugten Europäer geworden. Er befürwortet den schnellstmöglichen Eintritt Serbiens zur EU. Dazu gehört auch eine weitgehende Normalisierung der Beziehungen mit Kosovo. In dieser Wandlung ist Vučić nicht allein. Auch der bisherige Ministerpräsident Ivica Dačić war Milošević-Anhänger und bleibt in der Regierung als Außenminister für die Sozialistische Partei Serbiens.
»An der erste Stelle sorgt Vučić für seine eigene Macht. Auch die Deklaration eines Kampfes gegen Korruption dient diesen Zweck«, fasst Vasić zusammen.
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