Rausch vom Finale verdrängt Skandal

Italien bejubelt Einzug ins WM-Endspiel

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Was für ein Tag für den italienischen Fußball, dieser 4. Juli 2006! Er beginnt damit, dass beim Prozess wegen des Manipulations-skandals von der Staatsanwaltschaft exemplarische Strafen gefordert wurden: Juventus Turin in die dritte Liga, Lazio, Milan und Florenz in die zweite. Dann erklärt der Trainer von Juve, Fabio Capello, dass er ab sofort bei Real Madrid unter Vertrag steht. Der Börsenkurs von Juventus Turin sackt in den Keller. Milan-Chef Berlusconi spricht (wie sollte es anders sein?) von einem »politischen Komplott« gegen seinen Verein. Und schließlich: Die italienische Nationalmannschaft schlägt in Dortmund die Gastgeber und steht im WM-Finale! Wenn Francesco Totti, Fabio Cannavaro und Konsorten etwas bewiesen haben, dann sind es starke Nerven. Einige der Spieler haben immer noch keine Ahnung, in welchem Verein und in welcher Liga sie nächste Saison spielen werden. Zuhause erwartet sie nach der Rückkehr aus Deutschland das reinste Chaos, aber sie gewinnen das WM-Halbfinale mit einer weltmeisterliche Leistung. Weltmeisterlich waren auch die Jubelparties, die Italien hinlegte. Es wurde fast so viel Feuerwerk abgeschossen wie Sylvester. Die Autos verstopften die Straßen wie im schlimmsten Frühabendstau; und Millionen von Menschen sangen und lachten sich den ganzen Frust vom Leibe. Selbst die vielen deutschen Touristen, die auf der Halbinsel Ferien machen, wurden von dem Taumel mitgerissen und mit gutmütigen Gefrotzel in die Feier mit einbezogen, so dass sie - wenigstens für ein paar Stunden - ihre Enttäuschung vergaßen. »Wir sind groß, und wir wussten es«, titelt eine Mailänder Sportzeitung. Auch Marco, der Mann an der römischen Cafébar, sieht das so ähnlich: »Wir gewinnen immer gegen Deutschland. Und am Sonntag auch in Berlin.« Freudentaumel, Ekstase, »Festa Italiana« - der 2:0-Sieg hat ein ganzes Land in Euphorie versetzt. 50 000 Tifosi verwandelten den Platz vor dem Mailänder Dom in ein Fahnenmeer, in Rom zogen Autokorsos am angestrahlten Kolosseum vorbei. »Wo sonst kann man vor solch einer grandiosen Kulisse feiern?«, staunt ein junger Deutscher. Seit Jahren hat Italien nicht mehr eine solche Hochstimmung erlebt. Mancher Fan fragte besorgt, ob Nationaltrainer Marcello Lippi im Amt bleiben wird. Der Vertrag des 58-Jährigen soll am 15. Juli auslaufen. Vor und während der WM hatte Lippi die Angebote des italienischen Fußballverbands (FIGC) zur Vertragsverlängerung mehrfach abgelehnt. Keiner hingegen redet im Freudentaumel vom Sumpf des italienischen Fußballs. Sicher, in den letzten Jahren wurde manipuliert, was das Zeug hält, denn wirtschaftliche Interessen, Politik, Kriminalität und Sport sind ein verflochtenes undurchdringbares Knäuel. Aber jetzt wird erst mal gefeiert - und ...

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