Tathypothesen in Hamburg nicht hinreichend verfolgt

Senatsbericht belegt Ermittlungsfehler nach dem NSU-Mord an Süleyman Tasköprü

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
87 Seiten lang ist der Bericht des Hamburger Senats zu den Ermittlungen nach dem NSU-Mord an Süleyman Tasköprü in Hamburg – über Vorschläge zur Arbeitsoptimierung geht er aber nicht hinaus.

Am 27. Juni 2001 wurde der Hamburger Süleyman Tasköprü im Lebensmittelgeschäft seines Vaters erschossen – der 31-Jährige war das dritte von neun Mordopfern des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) zwischen 2000 und 2007. Der Hamburger Senat legte nun einen Bericht zur Aufklärungsarbeit des Mordes vor.


Lange konzentrierte sich die Hamburger Polizei in ihren Ermittlungen auf das Gebiet der Organisierten Kriminalität, da das Opfer vermeintlich Kontakte ins Rotlichtmilieu besessen hatte. Während Tasköprü posthum rehabilitiert wurde, bleiben schwere Vorwürfe an die Polizeistrategie: »Die Ermittler in Hamburg waren am stärksten von der Theorie eines Tathintergrundes ›Organisierte Kriminalität‹ überzeugt – und blieben das auch, als die gründlichen Ermittlungen in diese Richtung zu keinen Ergebnissen geführt hatten«, stellte der Bundestags-Untersuchungsausschuss zur NSU-Mordserie fest.


Der 87 Seiten umfassende Bericht des Senats räumt nun einerseits das Versagen ein: »Alle möglichen Tathypothesen sind im Fall der Tatserie mit Sicherheit auch im Tatortland Hamburg nicht hinreichend bzw. hinreichend nachhaltig verfolgt worden. (...) Insgesamt war es aus heutiger Sicht unstreitig ein Fehler, die Ermittlungen nicht stärker auf eine mögliche rechtsextremistische Motivation auszurichten.«


Gleichzeitig wird allerdings darauf verwiesen, dass »die besonderen Tatumstände des Tötungsdeliktes an Süleyman Tasköprü immer noch weitgehend im Dunkeln« lägen. Die schlagzeilenträchtige, aber ergebnislose Befragung eines Hellsehers, der sich selbst als »Metaphysiker« an die Polizei gewandt hatte, wird im Bericht zwar als »unstreitig fragwürdig« bezeichnet, aber auch als Beleg dafür, »dass die Polizei Hamburg keinerlei Hinweise, Spuren und Ermittlungsansätze vernachlässigt hat, so diese denn vorlagen«.


Die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts (LKA) prüfe allerdings inzwischen »weit häufiger Sachverhalte auf mögliche extremistische Motivation oder Bezüge«. Darüber hinaus sei die »Einführung einer verpflichtenden regelmäßigen Prüfung einer politischen Motivlage bei Gewalttaten« zwar vorstellbar, angesichts von über 23 000 Gewaltdelikten in Hamburg im Jahr 2013 aber mit »klaren quantitativen Problemen« verbunden. Der unter hamburg.de/innenbehoerde abrufbare Bericht schlägt daher eine »erhöhte Sensibilisierung sämtlicher Ermittler und deren Verankerung in Aus- und Fortbildung« vor.
Den Sicherheitsbehörden war unter anderem von der LINKEN »struktureller Rassismus« vorgeworfen worden, als ein Zeuge des LKA Tasköprü vor dem Bundestags-Untersuchungsausschuss als »ganz normalen türkischen Mann« bezeichnet hatte. Die Angehörigen des Opfers beklagten sich über eine unangemessene und respektlose Behandlung bei ihren Zeugenaussagen.


Einer Stärkung der interkulturellen Kompetenz in den Behörden redet der Senatsbericht durchaus das Wort. Von der Zielsetzung der Hansestadt, dass jeder fünfte Beschäftigte im Öffentlichen Dienst über einen Migrationshintergrund verfügen soll, ist die Polizei allerdings noch recht weit entfernt. Seit 2006 liegt der Einstellungsanteil der Zielgruppe bei mindestens neun Prozent, 2013 betrug er 13,5 Prozent.
Überwiegend präsentiert der Bericht des Senats an die Bürgerschaft Vorschläge zur Arbeitsoptimierung aus Sicht der Stadtregierung. Im Zuge der Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz müsse es etwa um eine »verständige Auslegung und Anwendung des Trennungsgebotes, nicht um seine schrittweise Abschaffung gehen«. Der Bericht zeigt sich auch skeptisch, ob eine Zusammenlegung der Hamburger Behörde etwa mit dem schleswig-holsteinischen Pendant sinnvoll sei, spricht sich aber für übergreifende »Kompetenzzentren« aus.

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