Neue Vorwärts-Verteidigung

Der Vizechef der NATO sieht in Russland keinen Partner mehr, sondern einen Gegner - und verlegt Truppen weiter nach Osten

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Unabhängig von der Krise um die Ukraine ist inzwischen klar: Die Falken in der NATO setzen dauerhaft auf Konfrontation gegenüber Russland. Sie haben Moskau bereits vom Partner zum Gegner degradiert.

Vor einigen Tagen hatte NATO-Vizechef Alexander Russell »Sandy« Vershbow eine Handvoll vertrauenswürdiger Journalisten versammelt. Es ging um nichts Geringeres als die Verkündung eines Strategiewandels. Zwar ist das nächste NATO-Gipfeltreffen, bei dem so etwas besprochen werden kann, erst im September in Wales, doch so lange möchten die Hardliner in den USA nicht warten. Vershbow verkündete: Die Russen haben mit der Annexion der Krim und der Unterstützung der Vorgänge in der Ostukraine ganz klar die NATO-Russland-Beziehung verändert. Mehr noch. Moskau habe die seit 1997 bestehende Partnerschaft mit der NATO gekündigt. Zwar nicht förmlich, doch faktisch, meinte der NATO-Vize und schlussfolgerte: Das westliche Bündnis müsse sich nun auch nicht länger als Partner, sondern eher als Gegner Russlands verhalten.

Das klingt ganz so, als wäre der US-Regierung daran gelegen, den aktuellen politischen Konflikt mit Russland dauerhaft zuzuspitzen. Und damit dagegen gar nicht erst Widerstand in den eigenen Reihen aufkommt, werden bereits jetzt von der Leitnation der freien Welt Nägel mit Köpfen gemacht. Was man in Berlin mit einigem Argwohn betrachtet. Inoffiziell freilich nur.

Vershbow ist kein kleines Licht in der dritten Reihe der US-Administration. Der Mann hat Osteuropawissenschaften studiert, war Botschafter seines Landes in Moskau, Südkorea und bei der NATO. Als Vizechef des Bündnisses rückt er jetzt bereits den Stuhl des kommenden NATO-Generalsekretärs - es wird der ehemalige sozialdemokratische Premier Norwegens Jens Stoltenberg sein - an den rechten Platz.

Vershbow unterstellt Moskau, die einstigen Ostblockstaaten, die nun NATO-Mitglied sind, unter seine Knute zurückholen zu wollen. Er und andere machen sich die aus Polen, Rumänien und den baltischen Staaten zu vernehmende Angst zunutze. Doch wie zu Zeiten des vorangegangenen Kalten Krieges werden die USA die Freiheit aller Verbündeten sichern, versichert man in Washington. Natürlich im Kreise der NATO. Die werde künftig auf jede noch so kleine Bedrohung durch Putin adäquat antworten. Das heißt, man will Truppen nach »vorne« verlegen. Polen bettelt ohnehin schon seit Monaten - wie einst die Bundesrepublik - um US-Truppen.

Vershbow sprach nun unmissverständlich von der »Bereitstellung einer beträchtlichen Anzahl alliierter Kampftruppen in Osteuropa«. Wer sich die Verlegezeiten der westalliierten Flugzeugstaffeln nach Litauen und Polen sowie für die Entsendung von ein paar Fallschirmjägerkompanien anschaut, weiß: Die anvisierte NATO-Vorne-Verteidigung geht nicht ohne eine ständige Stationierung in den »Frontstaaten«. Dumm nur, dass genau sie durch das zwischen Russland und der NATO 1997 geschlossene Partnerschaftsabkommen ausgeschlossen ist. Falls das mit der offiziellen Kündigung nicht durchzusetzen ist, wäre Stationierung auf Rotationsbasis eine Option.

So gesehen sind die nun verstärkten Air-Policing-Einsätze am Himmel von Litauen, Lettland und Estland, an denen sich auch die Bundeswehr beteiligt, erst ein Anfang. Gemeinsame Übungen in dichter Folge in Polen, in der Ostsee und auf dem Schwarzen Meer sind ebenso wie die solidarische Stationierung von Raketensystemen in den Bündnisstaaten à la Türkei denkbar und als jederzeit zu errichtende defensive Drohkulisse brauchbar.

Nicht alles wird so laufen, wie man es aus dem Kalten Krieg gewohnt ist. Die USA wollen zwar wie ehedem sagen, wo es lang geht. Doch bei der Umsetzung ihrer teuren Pläne nehmen sie die europäischen Verbündeten mehr in Haftung. Natürlich ließ Vershbow nicht unerwähnt, dass die Ukraine-Krise einmal mehr die Notwendigkeit höherer Verteidigungsanstrengungen der Bündnispartner deutlich gemacht hat. Und ganz nebenbei beginnt man damit, die skandinavischen Staaten an Bord zu holen. Vor ein paar Tagen sickerte durch, dass das ehemals offiziell neutrale Schweden den NATO-AWACS-Aufklärern Überflugrechte eingeräumt habe.

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