Heraus zum 1. Mai!
Zugegeben, die Losung ist alt und kommt in diesem Jahr auch um einige Tage zu spät. Aber erstens kann Richtiges nicht oft genug gesagt werden und zweitens muss jede Gelegenheit genutzt werden, um dem Proletariat die wahre Bedeutung des Kampftags der Arbeiterklasse zu verdeutlichen.
In diesem Jahr fiel der 1. Mai auf einen Donnerstag. Das provozierte mit dem Freitag einen sogenannten Brückentag, den viele Werktätigen genutzt haben dürften, so dass sie bereits am Vortag, also am 1. Mai, mit Kind und Kegel ins Grüne fahren konnten und sich damit ihren Verpflichtungen als Teil der kämpfenden Arbeiterklasse entzogen.
Es sei ihnen gesagt: Sie haben den Epochenwandel versäumt. Es soll ja eine Zeit gegeben haben - manch Alt-68er berichtet davon mit Tränen der Rührung in den Augen -, in der die gewerkschaftlich organisierte sozialdemokratische Arbeiterschaft, kurz: der DGB Seit’ an Seit’ durch die Straßen schritt, die Faust zum Protest gereckt und das rote Banner stolz vor sich hertragend. Das hatte für die Werktätigen - also diejenigen, die am 1. Mai arbeiten mussten - die unangenehme Folge, dass sie mit dem Auto zu spät zur Arbeit kamen, weil die Straßen durch demonstrierendes Volk verstopft waren.
Diese Zeiten sind vorbei und auch der DGB muss mit der Zeit gehen. Am diesjährigen 1. Mai hatte sich der DGB deshalb etwas Neues einfallen lassen. Mit einer Skating-Demo und einem Motorradkorso zogen die Kolleginnen und Kollegen zum Brandenburger Tor. Das alte SPD-Lied, »Mit uns zieht die neue Zeit«, bekommt da eine ganz neue Bedeutung.
Die »neue Zeit« zog allerdings dann doch allzu schnell an uns Passanten vorbei, die dem Spektakel auf einer Verkehrsinsel gezwungener Maßen beiwohnen mussten. Die Vorbeifahrt des motorisierten Proletariats begann mit einigen Polizeimotorrädern, denen eine überschaubare Zahl von Autos mit roten Werbetafeln und eine Kohorte hupender Motorräder und -roller folgte. Gut, die Motorräder machten ordentlich Krach, aber die Losungen auf den am Sozius angebrachten und im Fahrtwind flatternden Fahnen waren nicht zu lesen. Manch einer der Passanten wird sich verwundert die Augen gerieben und sich gefragt haben, ob der DFB - also die wahre Massenorganisation der deutschen Arbeiterschaft - das Fußballpokalfinale um einige Wochen vorverlegt hat. Zu vermuten ist außerdem, dass die DGB-Skater irrtümlich für verspätet angekommene Teilnehmer des diesjährigen Berliner Halbmarathons gehalten wurden.
Vielleicht sollte der DGB sich im nächsten Jahr etwas ganz innovatives einfallen - etwa eine Online-Demo. Die User könnten beispielsweise kollektiv mit dem Cursor über eine Straßenkarte von Berlin bei Google-Map fahren, bis sie beim Brandenburger Tor angelangt sind. Anschließend gehen alle ans Fenster und rufen laut auf die Straße hinaus: User aller Länder, vernetzt Euch, Ihr habt nichts zu verlieren außer Eure Passwörter.
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