»Sollense mal hungern«
Willkommen sind sie nicht: Die Flüchtlinge am Alexanderplatz weiten Hungerstreik aus
»Menschenrechte ja, aber das ist Erpressung, was sie hier machen«, ruft der aufgebrachte Senior mit der Herrenhandtasche den seit Samstag vor dem Kongresszentrum am Alexanderplatz hungerstreikenden Flüchtlingen zu. »Ich bin aus Togo, wir waren 30 Jahre deutsche Kolonie, sie haben viele Leute umgebracht«, entgegnet Koni E., einer der Unterstützer. »Sollense mal hungern«, sagen andere halblaut im Vorübergehen, ein Motorradfahrer brüllt laut »Scheiße« in Richtung des Lagers aus Isomatten, Decken und den Transparenten mit Forderungen. »Das geht die ganze Zeit so«, sagt E.
Ein Ende der Abschiebungen, die Anerkennung des dauerhaften Aufenthaltsrechts sowie eine Aufhebung der Dublin-Verordnungen, also jener Übereinkommen, die Flüchtlingen nur ein Asylverfahren in dem Land erlaubt, in dem sie erstmals europäischen Boden betreten haben. Am vergangenen Samstag zog eine Demonstration mit etwa 120 Teilnehmern vom Hermannplatz über die besetzte Schule in Kreuzberg und den Oranien- zum Alexanderplatz.
»Wir wollten unser Camp unter der Weltzeituhr aufschlagen, doch die Polizei zwang uns, hierher zu gehen«, sagt der Sprecher der Flüchtlinge. Wegen des tosenden Autoverkehrs ist er kaum zu verstehen. Am jetzigen Ort gibt es viele Einschränkungen: »Wir dürfen keinen Tisch für unsere Flugblätter aufstellen, wir dürfen keine Schlafsäcke benutzen, Regenschirme dürfen wir nur aufspannen, wenn es regnet.« Für die Dauer der Pressekonferenz erlauben die Polizisten vor Ort die Auslage der Transparente, danach müssen sie diesen Teil des Bürgersteigs wieder freigeben. Auch wollen die Ordnungshüter mit den Veranstaltern darüber sprechen, die Mahnwache an einen »günstigeren Ort« - noch weiter abseits - zu verlegen.
»Kälte, Krankheit, rassistische Beleidigungen«, die drei Tage Hungerstreik sind eine große Herausforderung für die 14 Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern Afrikas. Es waren mal mehr, einige waren den Strapazen nicht gewachsen. Drei Hungerstreikende mussten wegen gesundheitlicher Beschwerden bereits im Krankenhaus behandelt werden. »Die sind aber wieder hier«, sagt der Sprecher. Ein großes Problem ist auch der fehlende Zugang zu Toiletten. Tagsüber könnten sie zwar theoretisch die Sanitäranlagen des nahe gelegenen Einkaufszentrums nutzen, dorthin trauten sie sich nach eigener Aussage jedoch nicht aus Angst vor rassistischen Übergriffen.
»Wir sterben lieber als hier wegzugehen«, sagt der Flüchtlingssprecher mehrmals. Für die Nacht auf den heutigen Mittwoch kündigt er den Beginn eines trockenen Hungerstreiks an. Ab diesem Zeitpunkt wollen die Flüchtlinge auch keine Flüssigkeit mehr zu sich nehmen. Bisher haben sie Wasser und ungesüßten Kräutertee getrunken. »Wir fordern, als Menschen respektiert zu werden. Wir fordern eine Entwicklung des Asylrechts«, sagt er. Bisher sei noch kein einziger Politiker vorbeigekommen, um wenigstens ins Gespräch zu kommen, berichtet er.
»Wir sind vor Kriegen und aus politischen Gründen aus Afrika geflohen. Wir dachten Deutschland ist das Land, wo wir sicher leben können. Doch wir haben ständig Angst, von der Polizei abgeschoben zu werden.« Sie seien isoliert, sie könnten keine Deutschkurse machen, es werde ihnen Strafe angedroht, wenn sie die Lager verließen. »Wir können nichts, wir haben nichts, wir können nur verrückt werden«, lautet sein Fazit. Ob die 14 Hungerstreikenden sich als Minimalziel damit zufrieden gäben, selber nicht abgeschoben zu werden, fragt ein Journalist. »Ja«, antwortet der Sprecher.
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