Die Russen wollen keinen Krieg
Ein militärisches Eingreifen in der Ukraine befürworten nach der jüngsten Umfrage nur acht Prozent
Territorialer Zugewinn und eine Erweiterung der Eurasischen Union, des von Moskau dominierten Wirtschaftsbündnisses zur Reintegration ehemaliger Sowjetrepubliken? Bitte gerne. Aber nicht um den Preis einer gewaltsamen Gebietsaneignung durch Truppeneinsatz.
Dagegen sprachen sich bei einer Umfrage, die die Moskauer Wirtschaftszeitung »rbk daily« dieser Tage beim Lewada-Zentrum in Auftrag gab, über 50 Prozent der Teilnehmer aus - obwohl sich Russland seit dem Beitritt der Krim im nationalen Rausch zu befinden scheint und die Berichterstattung staatstreuer Medien über die Entwicklungen in der Ostukraine mitunter wie Artillerievorbereitung zu einer militärischen Intervention Moskaus daherkommt. Zudem ist das Mandat, das der Föderationsrat Präsident Wladimir Putin dazu Anfang März erteilte, nach wie vor gültig.
Zwar beklagten bei der Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts knapp drei Viertel der Interviewten die Diskriminierung ethnischer Russen in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Sie sehen die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung vor allem in der Ukraine, in Litauen, Lettland, Estland und Georgien verletzt und machten das an Einschränkungen für den Gebrauch der russischen Sprache, der Verweigerung von Gewerbescheinen und Berufsverboten fest. Am wenigsten diskriminiert werden Russen demzufolge bei Moskaus engsten Verbündeten: in Belarus und Armenien.
Die überwältigende Mehrheit der Befragten sprach sich jedoch dafür aus, diese Missstände mit wirtschaftlichen und politischen Sanktionen Moskaus gegen die einstigen Bruderrepubliken zu bekämpfen. Knapp ein Drittel konnte sich eine symmetrische Antwort vorstellen: begrenzte Rechte für Arbeitsmigranten aus den UdSSR-Nachfolgestaaten in Russland. Ganze acht Prozent plädierten für eine Militäroperation.
Noch Ende März war das anders. Zehn Tage nach dem Beitritt der Krim zu Russland hatte »rbk daily« beim Lewada-Zentrum eine Untersuchung mit gleichlautenden Fragen in Auftrag gegeben. Damals waren drei Viertel der Befragten bereit, Kreml und Regierung bei einem militärischen Konflikt mit der Ukraine zu unterstützen. Nur 13 Prozent waren dagegen, fast genauso viele unentschlossen. Und 23 Prozent hielten eine militärische Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine für »wahrscheinlich« oder »sehr wahrscheinlich«. Das, so damals der Chef des Lewada-Zentrums, Alexej Graschdankin, seien »bedrückende Zahlen«.
Sein Chefsoziologe Denis Wolkow erklärte das Phänomen damit, dass die elektronischen Medien, die ausnahmslos staatlich oder staatsnah sind, die öffentliche Meinung bestimmen. Lediglich 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung würden alternative Informationen aus dem Internet beziehen. Dass sich der Trend jetzt gedreht hat, begründete Wolkow mit der Angst vor Verlust von Familienangehörigen und Freunden bei einem Waffengang.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.