Auf sie mit Gebrüll
Schaut man Andreas Kreiter in die Augen, dann hat sein Blick im positivsten aller Sinne etwas mit denen jener Makaken gemeinsam, die der Neurobiologe für seine Experimente auf einem so genannten »Primatenstuhl« fixiert. Die Augen leicht zusammengekniffen, eine Mimik, als blicke der Betrachter der Unschuld höchstpersönlich in die Augen. Wer derartig sanftmütig in die Kamera schaut, kann doch wohl nur schwer im Stande sein, ein anderes fühlendes Lebewesen ohne Not zu töten? Während Makaken in der freien Natur die pflanzliche der tierischen Kost in den meisten Fällen vorziehen, hat der Mensch in vielerlei Hinsicht sein Maß längst verloren.
Die Leserschaft von FAZ, Zeit, des Tagesspiegels, des Weser-Kuriers, der Bremer Nachrichten (16.April) und einige Tage später auch der taz (26.4) dürften nicht schlecht gestaunt haben, als sie beim Durchblättern Kreiter und besagter Resusaffe grüßten. »Kreiter macht eiskalt weiter«, steht in dicken Buchstaben über der ganzseitigen Anzeige der »Tierversuchsgegner Bundesrepublik Deutschland«. Womit die Geschichte erzählt wäre, hätte sich der Streit nicht zwischenzeitlich bis zu Morddrohungen gegen Kreiter hochgeschaukelt, an denen wohl auch besagte Anzeigenkampagne nicht ganz unschuldig sein dürfte.
Seit 1998 führt der Wissenschaftler Tierversuche an der Universität Bremen durch. Seine bevorzugten Testlebewesen sind Makaken, da Affen im biologischen Vergleich noch am ehesten mit dem Menschen vergleichbar sind. Eben diese Nähe zum Homo sapiens ist auch der Grund, weshalb Tierschützer besonders häufig Kritik an Versuchen unter unfreiwilliger Beteiligung unserer nahen und nächsten Verwandten üben. Die Theorie hinter diesem Ansatz ist klar: Bei einer Spezies, die dem Menschen sehr ähnlich ist, soll bei uns am ehesten die Empathiefähigkeit geweckt werden. Das funktioniert bei vielen Menschen durchaus, nur leider endet diese Fähigkeit meist vollends, wenn wir uns weiter als mit dem Affen von der Spezies Mensch entfernen. Ein Schwein ist eben kein Äffchen.
Mangelnde Empathiefähigkeiten gegenüber Rhesusaffen dürfte auch im Fall von Hirnforscher Kreiter vorliegen. Für ihn sind es lediglich Versuchstiere, die für einen vermeintlich höheren Zweck – der Erforschung von Krankheiten und Heilmethoden für den Menschen – gezüchtet, eingesperrt und getötet werden dürfen – also genau dem, was Wissenschaftler bei Tierversuchen billigend in Kauf nehmen. Kreiter ist da keine Ausnahme, kein Sonderfall, nur eben im Zentrum der Kritik durch Tierschützer, weil er sich bei seinen Experimenten an unseren nahen Verwandten vergreift.
Warum Tierversuche höchst unsinnig sind, keine klaren Ergebnisse liefern, unnötiges Leid verursachen und auch für den Menschen gefährlich sind, darüber lässt sich vieles in der ganzseitigen Anzeige der Tierversuchsgegner nachlesen, die stärker auf Text als auf den nackten Schockmoment setzt.
Doch der Verein schafft es schon zu Anfang seiner wortreichen Erklärung, potenzielle Adressaten seiner Botschaft vor ein moralisches Dilemma zu stellen. »Tierexperimentatoren sind Wesen besonderer Art - man sollte sie nicht leichtfertig Menschen nennen«, heißt es in einem Eingangszitat des Neurologen und bereits 1986 verstorbenen Tierversuchskritikers Herbert Stiller. Zwar versuchen die Autoren das Zitat in ihrem Sinne zu interpretieren, indem sie erklären, Stiller wollte damit vor allem das »hohe Maß an Gefühlskälte und somit Unmenschlichkeit« von Tierversuchen hervorheben, doch der Versuch geht gründlich schief, da dieser Deutungsversuch das Zitat nicht einmal ansatzweise erfasst. Mehr noch: Wer sich auch aus ethischen Gründen gegen Tierversuche und die grundsätzliche Ausbeutung anderen leidensfähiger Wesen wendet, sollte einen derartigen Satz nicht unterschreiben, wodurch das im Anschluss Geschriebene noch so richtig sein kann, wenn es doch auf einer menschenfeindlichen Aussage wie der Genannten aufbaut.
Nichts weniger ist Kern dieses Zitates. Es heißt übersetzt sehr eindeutig: Wer Experimente an Tieren durchführt, ist kein Mensch. Was sich daraus für mögliche Folgen für den jeweils Betroffenen ableiten, lässt die Aussage zwar offen, ohne größere Anstrengungen sind die zugrundeliegenden Gedankengänge naheliegend. Wer kein Mensch ist, dem stehen durch die fehlende Zugehörigkeit zu dieser Spezies auch die entsprechenden Grundrechte nicht zu. Während aus dieser Ecke argumentierende Tierschützer einerseits die Einführung von Rechten für andere Spezies fordern, wollen sie anderseits jenen Individuen einer Spezies die bereits erhaltenen Rechte aberkennen, wenn sie sich gegen die Überwindung der Artengrenzen bei rechtlichen Fragen wenden. Derartige Herangehensweisen erinnern aber stark an jene Argumentation, die von der »Hauptsache-für-die-Tiere Fraktion« genutzt wird und das eigentliche wichtigere Anliegen – die Befreiung aller menschlichen wie nichtmenschlichen Tiere – vollkommen in den Hintergrund geraten lässt. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass es Tierschützer im Gegensatz zu Tierbefreiern nicht um Systemkritik geht. Ein Tierschützer sieht nicht unbedingt ein moralisches Dilemma darin, einerseits über die Misshandlung von Straßenhunden zu klagen und sich kurz darauf eine 39 Cent teure Ausbeuterschokolade vom Discounter in den Mund zu schieben. War schließlich nur ein Kindersklave und kein Hund, der sich nicht wehren kann. Kann der Mensch auf den Kakaoplantagen zwar auch nicht, aber er ist schließlich kein Rhesusäffchen sondern eher vergleichbar mit dem Schwein aus dem Schlachthaus, für dessen Leben sich auch nur eine Minderheit interessiert.
Die Anzeigenkampagne gegen Kreiter ist nicht nur falsch, sie ist gefährlich, weil sie neue wertende Kategorien vom Leben aufmacht, anstatt diese Grenzen zu überwinden. Grundrechte sind universell, weil sie ohne Ansehen des Individuums für alle gelten. Derzeit leider nur für Menschen, hoffentlich bald für Tiere und auch für Kreiter.
Reaktion der Universität Bremen auf die Anzeigenkampagne
Dokumentation des jahrelangen Rechtsstreits um Kreiters Tierversuche
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