NATO-Truppen dauerhaft im Osten

Westliches Militärbündnis erwägt ständige Stationierung an den Grenzen Russlands

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise erwäge die NATO, dauerhaft Truppen in Osteuropa zu stationieren, wie der Oberkommandierende des Paktes, US-General Philip Breedlove, jetzt erklärte.

Noch wisse er natürlich nicht, was dabei herauskommt, wenn die Idee den politischen Führern der NATO-Staaten zur Debatte vorgelegt wird. Doch eines ist für General Breedlove glasklar: Die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und die direkte Verwicklung Moskaus in die Geschehnisse in der Ostukraine hätten ein »neues Paradigma« geschaffen, und das zwinge zu neuen Überlegungen. Mit welchem Ergebnis, werde der NATO-Gipfel im September zeigen. Doch der Oberkommandierende hat die Denkrichtung vorgegeben: die ständige Stationierung von Truppen an den Grenzen Russlands.

Schon jetzt spricht Moskaus Verteidigungsminister Sergej Schoigu von einem »beispiellosen Wachstum der Aktivität der Streitkräfte der USA und der NATO in Osteuropa«. Sein Generalstabschef Valeri Gerassimow, verweist auf die Aufstockung der Kampfflugzeuge und Soldaten in den baltischen Staaten und in Polen sowie von Kriegsschiffen im Schwarzen Meer. Der NATO-Rat hat schon Anfang März und dann noch einmal Mitte April entschieden, die Aktivitäten in östlichen Mitgliedstaaten zu verstärken - natürlich nur »defensive« Maßnahmen, wie Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen beteuert.

Kampfflugzeuge der Allianz patrouillieren routinemäßig über Estland, Lettland und Litauen, die selbst über keine schlagkräftigen Luftstreitkräfte verfügen. Die Verantwortung für den Einsatz wechselt alle vier Monate zwischen den Bündnispartnern. Seit einigen Tagen wird der baltische Luftraum von zwölf Kampfjets überwacht: Vier polnische und vier britische Maschinen sind auf dem litauischen Militärflughafen Siaulia, vier dänische in Estland stationiert. Die drei Länder lösten die USA ab, die diese Aufgabe seit dem 1. Januar wahrgenommen hatten. In Malbork im Nordosten Polens wurden zudem vier französische Kampfjets vom Typ Rafale und 70 französische Soldaten stationiert. Hinzu kommen AWACS-Aufklärungsflugzeuge der NATO für Polen und Rumänien.

Inzwischen hat das Pentagon auch rund 600 Infanteriesoldaten nach Polen und in die baltischen Staaten verlegt, darunter eine Kompanie der im italienischen Vicenza stationierten 173. Luftlandebrigade, die im Hafen von Paldiski Quartier nahmen. Dort in Estland haben insgesamt etwa 6000 Soldaten eine dreiwöchige Militärübung begonnen, darunter 550 Einsatzkräfte aus mehreren anderen NATO-Ländern. Während das zusätzlich entsandte Kriegsschiff »USS Donald Cook« - ein mit Flugabwehrraketen ausgerüsteter Zerstörer - das Schwarze Meer nach zwei Wochen wieder verlassen hat, verbleibt die US-Fregatte »USS Taylor« in der Region.

Litauens Verteidigungsminister Juozas Olekas wiederum begrüßte dieser Tage einen Minenräumverband des Nordatlantik-Pakts. Ab Ende Mai soll der deutsche Tender »Elbe« ein Manöver in der Ostsee leiten. Der multinationale Einsatzverband »Standing NATO Mine Countermeasures Group 1« operiert bereits seit über vier Jahrzehnten in der Region, doch nun werde er wegen der aktuellen Ereignisse »ein etwas anderes Profil bekommen«, wie es der Vize-Stabschef der NATO-Seestreitkräfte Arian Minderhoud, formulierte. Deutschland ist an der erweiterten Militärpräsenz künftig auch mit bis zu sechs Eurofightern im Rahmen der »Air Policing« in den baltischen Staaten beteiligt.

All diese Maßnahmen, die noch durch bilaterale Aktivitäten von NATO-Mitgliedern ausgeweitet werden sollen, seien zunächst bis zum 31. Dezember dieses Jahres befristet, so Pentagonsprecher John Kirby, der schon vor ein paar Wochen von einer »andauernden Präsenz« sprach. Breedloves Vorschlag einer ständigen Stationierung von Truppen allerdings hätte noch einmal eine neue Qualität. Und sie verstieße laut Moskaus Außenminister Sergej Lawrow gegen Vereinbarungen wie die Erklärung von Rom über die Zusammenarbeit Russland-NATO aus dem Jahr 2002 oder die im Mai 1997 unterzeichnete Gründungsakte des NATO-Russland-Rates.

Dort heißt es mit Blick auf Osteuropa, die Allianz wolle »in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld« für die kollektive Verteidigung keine »zusätzlichen substanziellen Kampftruppen dauerhaft stationieren«. Doch NATO-Generalsekretär Rasmussen macht die Ausnahmeregel geltend: Verteidigung gegen eine Aggressionsdrohung. Und die wird Russland gegen die NATO unterstellt. Rasmussens Vize Alexander Vershbow hat schon vor einigen Tagen erklärt, das Militärbündnis müsse beginnen, »Russland nicht länger als Partner, sondern eher als Gegner zu sehen«. Willkommen im Kalten Krieg des 21. Jahrhunderts.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -