Wenn es Nacht wird im Tagebau

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 2 Min.
Arbeitsplätze sind das wichtigste Argument für die Braunkohle. Der Rohstoff wird von Vattenfall aber auch als notwendiger Begleiter der erneuerbaren Energien hingestellt.

»Strom muss auch weiterhin verlässlich Tag und Nacht zur Verfügung stehen - und zwar zu einem Preis, der die heimischen Arbeitsplätze international wettbewerbsfähig erhält und von allen Haushalten bezahlt werden kann«, argumentiert Vattenfall-Vorstand Hartmuth Zeiß.

Seiner Darstellung nach liefern die Braunkohlekraftwerke seines Unternehmens nicht nur zuverlässig Strom und Wärme. Mit rund 5900 Megawatt leisten sie auch einen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Zeiß zeigt sich zuversichtlich, dass die Braunkohle »auch langfristig eine wichtige Rolle« spielen wird.

Fakten
  • Im rheinischen Revier fördert die RWE Power AG in den Tagebauen Hambach, Garzweiler und Inden jährlich rund 100 Millionen Tonnen Braunkohle.
  • Im Revier Lausitz baut die Vattenfall Europe Mining AG in den Tagebauen Cottbus-Nord, Jänschwalde, Welzow-Süd, Nochten und Reichwalde pro Jahr etwa 60 Millionen Tonnen Braunkohle ab.
  • Im mitteldeutschen Revier betreibt die MIBRAG die Tagebaue Profen und Schleenhain, die Romonta GmbH den Tagebau Amsdorf. Beide holen dort zusammen rund 19 Millionen Tonnen Braunkohle im Jahr heraus.
  • Im niedersächsischen Revier Helmstedt gibt es nur noch den Tagebau Schöningen mit zwei Millionen Tonnen Braunkohle jährlich.
  • In Planung befinden sich die Tagebaue Welzow-Süd II, Nochten II und Jänschwalde-Nord. Über Welzow-Süd II soll und will noch vor der Sommerpause das rot-rote Kabinett in Brandenburg abstimmen.
  • Für Braunkohletagebaue sind in Deutschland seit Beginn des 20. Jahrhunderts 370 Ortschaften abgebaggert worden. Mehr als 12 000 Einwohner mussten umsiedeln. (Quelle bis hier: Greenpeace-Studie)
  • Gering ist der Stromverbrauch an einem durchschnittlichen Oktobertag nachts um 3 Uhr, wenn nur einige Straßen und Schaufenster erleuchtet sind und die Menschen schlafen. Morgens gegen 8 Uhr steigt die Nachfrage nach Strom in ganz Deutschland innerhalb weniger Stunden um beinahe 20 000 Megawatt, was der Leistung von mehr als 14 Atomkraftwerken entspricht. Solaranlagen können bis zum Mittag bis zu 15 000 Megawatt liefern. Zwischen 18 und 20 Uhr ist noch einmal eine Spitzennachfrage von über 66 000 Megawatt zu verzeichnen. (Quelle: Vattenfall)
  • Die brandenburgische LINKE plädiert mehrheitlich für einen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2040 und unterstützte 2008/2009 ein Volksbegehren gegen neue Tagebaue. Gegen den Koalitionspartner SPD konnte sich die LINKE aber bislang in dieser Frage nicht durchsetzen. Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (LINKE) vertritt innerhalb der Partei die Minderheitsmeinung.
  • Vattenfall lässt seit ungefähr zehn Jahren in regelmäßigen Umfragen die Einstellung der Bevölkerung in der Lausitz zur Braunkohleindustrie messen. Die Ergebnisse sind nicht frei zugänglich. Nach Angaben aus dem Konzern geben aber unter den Befragten die LINKE-Wähler immer die positivste Bewertung der Branche ab, gefolgt von den SPD-Wählern, denen der FDP und denen der CDU - während bei den Anhängern der Grünen Ablehnung dominiere.
  • Zu DDR-Zeiten verdienten allein in der Lausitz 55 000 Menschen im Tagebau und in den Kohlekraftwerken ihren Lebensunterhalt. Die Erinnerung an heldenhafte Wintereinsätze ist wach. Die Fruchtbarkeit der Böden in der Lausitz ist vergleichsweise niedrig, die Landwirtschaft sicherte früher nur kärgliche Einkünfte. Erst die Braunkohle bescherte der Region einen nennenswerten industriellen Aufschwung und einen gewissen Wohlstand. af

 

 

In Informationsbroschüren aus dem Hause Vattenfall wird der Rohstoff als »Energieträger mit Zukunft«, als »flexibel und unverzichtbar« bezeichnet. Die Macher gehen dabei von der zutreffenden Tatsache aus, dass der Ausbau der Stromtrassen der Entwicklung der erneuerbaren Energien hinterher hinkt. Es mangelt an Leitungen, die Windenergie aus dem Norden zur Industrie und in die dicht besiedelten Regionen im Süden bringen, bestätigt ein Interview mit Gunter Scheibner, dem Leiter Systemführung beim ostdeutschen Netzbetreiber »50 Hertz«. Die Bauarbeiten benötigen demnach in Deutschland einen Planungsvorlauf von bis zu zehn Jahren.

Zudem mangelt es an Speicherkapazitäten, um Stromüberschüsse für Zeiten höheren Bedarfs aufzuheben. Pumpspeicherwerke als »derzeit einzig verfügbare großtechnische Lösung« sind mit einer Leistung von lediglich 7000 Megawatt installiert. Andere Varianten wie Druckluftspeicher stecken noch in den Kinderschuhen. An der Erforschung und Erprobung der Möglichkeit, Batterien von Elektroautos nicht nur aufzuladen, sondern im Bedarfsfall auch anzuzapfen, beteiligt sich Vattenfall. Es dauert noch bis zur Serienreife.

Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (LINKE) identifiziert die Speicherkapazität als entscheidendes Hemmnis der Energiewende. Übergangsweise werde deshalb die Braunkohle gebraucht, sind sich fast alle Experten einig, wobei die Zeitangaben jedoch pendeln zwischen wenigen Jahren und vielen Jahrzehnten. Ursprünglich sollten Gaskraftwerke einspringen, wenn an einem bewölkten Himmel Windstille herrscht. Gaskraftwerke lassen sich schneller hochfahren als Kohlekraftwerke. Es sind aber nicht genug Gaskraftwerke vorhanden - und laut Vattenfall ist Kohle auch billiger als Gas.

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