Ein bisschen wie Kuchenbacken

Eine sozialistische Partei sollte innerparteiliche Zusammenschlüsse hegen und pflegen, meint Christoph Spehr

  • Christoph Spehr
  • Lesedauer: 3 Min.

Demokratie ist immer konkret. Es war ein wichtiges Erbe der PDS, der freien Bildung von innerparteilichen Zusammenschlüssen breiten Raum zu geben - und dabei nicht zu unterscheiden zwischen fachpolitischen Zusammenhängen (Wohnen), Vertretungen sozialer Gruppen (Betrieb und Gewerkschaften), bewegungsorientierten Zusammenhängen (Grundeinkommen) und Zusammenhängen, die sich auf die grundsätzliche Programmatik der Partei richten (den Strömungen). Ein »Fraktionsverbot«, mit dem in den kommunistischen Parteien innerparteiliche Opposition mundtot gemacht wurde, sollte es nie mehr geben.

In der gemeinsamen neuen Partei DIE LINKE kamen andere Funktionen der Zusammenschlüsse hinzu. Sie musste plötzlich 75 Prozent der WählerInnenschaft neu ansprechen, mit denen sie bislang kaum Erfahrung hatte, nämlich den Westen - wo alle anders ticken als im Osten: die Gewerkschaften, die Bewegungen, die Frauen, einfach alle. Die zugespitzte Artikulation von Interessen, Themen und Positionen, die von einer sozialistischen Partei aufgegriffen und vertreten werden sollten, mindestens aber nicht leichtfertig vor den Kopf gestoßen werden durften, war für den Formierungsprozess der Partei elementar. Manchmal geht es nur um das »Wording«: um Formulierungen, die überall anders besetzt sind und den einen gefallen, die anderen aber auf die Palme bringen, ohne dass unbedingt eine große inhaltliche Differenz dahintersteht.

Brauchen Parteien Zusammenschlüsse? Ja, unbedingt! Es ist wie beim Kuchenbacken: Wer Teig und Eischnee unterheben will, nimmt zuerst ein bisschen Eischnee, der richtig untergerührt wird. Man nennt das »Angleichen«. Wer als Partei mit gesellschaftlichen Gruppen und Zusammenhängen kooperieren will, tut gut daran, sie in sich selbst auch abzubilden. Meist ist dies eine notwendige Voraussetzung von gegenseitigem Verständnis. Das mühsame Ausräumen von Missverständnissen sollte man unter Genossinnen und Genossen erledigen, die gesellschaftlichen Bündnis- und Kooperationspartner außerhalb der Partei haben dafür weder die Zeit noch den Nerv.

Deshalb soll eine moderne sozialistische Partei innerparteiliche Zusammenschlüsse hegen, pflegen und in jeder Weise ermuntern - auch mit Ressourcen und Rechten. Es liegt im Eigeninteresse der Partei. Niemand möchte, dass eine Formulierung, die eine wichtige Gruppe verprellt, erst nach der Veröffentlichung eines Papiers entdeckt wird.

Aber machen die Strömungen das wirklich, was hier als Aufgabe verlangt wird? Stellen sie sich der schwierigen Frage des »Angleichens«? Es könnte deutlich besser sein. Die Aufgabe, inhaltliche Themen und Debatten aus der Gesellschaft in die Partei zu holen, erfüllen derzeit andere oft besser. Marx21 macht es oft besser als die Antikapitalistische Linke (AKL), die KommunalpolitikerInnen besser als das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS), Betrieb und Gewerkschaften besser als die Sozialistische Linke (SL), die Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen besser als die Emanzipatorische Linke. Zu oft arbeiten die Strömungen nicht daran, in der Partei Mehrheiten für ihre Ziele zu bilden, sondern bleiben unter sich und versuchen stattdessen Mehrheiten mit dem moralischen Vorschlaghammer zu erzeugen. Glücklicherweise funktioniert das in der Partei immer weniger.

Die teilweise überzogene Macht der Strömungen beruht aber nicht auf den Mandaten der Zusammenschlüsse. Von 50 Parteitagsmandaten der Zusammenschlüsse entfallen ganze sieben auf die Strömungen AKL, FDS und SL. Das Streichen der Mandate würde also die anderen Zusammenschlüsse viel härter treffen als die Strömungen. Keine gute Idee.

Die Demokratietheorie lässt diese Form zu. »One man, one vote« muss das Hauptprinzip sein. Aber alle Demokratien und alle Organisationen kennen auch die Abbildung anderer Strukturen - vom Bundesrat in der deutschen Verfassung bis zum Bundesausschuss in der Parteisatzung. Wenn dies bedeutet, dass der aktive Teil der Mitglieder eine begrenzte, zusätzliche Form der Einflussnahme erhält, ist das nur klug. Wer sich inhaltlich engagiert, isst in einer Partei sowieso schon ein etwas härteres Brot als in anderen Organisationen.

Zur Strömungsdebatte in der LINKEN schrieb an dieser Stelle bereits Tilman Loos aus Sachen. Sein Beitrag ist im Internet nachzulesen: www.nd-aktuell.de/artikel/932159.angst-vor-einem-gespenst.html

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