»Ich kann Profis verstehen, die dopen«

Mediziner Kurt Moosbacher: Ungeheurer Druck durch Sponsoren, Teamchefs und Öffentlichkeit

Kurt Moosburger ist Facharzt für Inneres, Sport- und Ernährungsmedizin in Hall (Tirol). Er hat beim »Race across America« den Extremradsportler Herbert Meneweger medizinisch begleitet. Er betreut jetzt auch einige Radsportler. Beispielsweise macht er für Jörg Jaksche, dessen Namen ebenfalls auf der »Madrider Liste« des Dopingarztes Eufemiano Fuentes kodiert sein soll, seit zwei Jahren die Leistungsdiagnostik. Fragen zu ihm beantwortet er im ND-Interview nicht.

ND: Herr Moosburger, hat es Sie überrascht, als in Madrid ein Dopinglabor für einen Teil der Radsportelite entdeckt wurde?
Moosburger: Überhaupt nicht. Wie Sie sich erinnern können, flog vor wenigen Jahren das BALCO-Labor in den USA auf. Solche Dopingzentren gibt es auch in Europa, nicht nur in Madrid. Im Spitzensport wird flächendeckend gedopt. Wer glaubt, dass die jetzt bei der Tour de France fahrenden Profis vom Doping unberührt sind, ist naiv. Es besteht sowieso Chancengleichheit.

Chancengleichheit besteht, wenn alle dopen?
Natürlich. Man hat entweder Chancengleichheit, wenn alle dopen oder wenn keiner dopt.

Und Sie gehen davon aus, dass alle oder so gut wie alle dopen?
Ja. Das ist doch bereits im Mittelklassebereich so. Jeder will sein Leistungsvermögen verbessern. Und irgendwann ist das genetische Potential mit einem maximal möglichen Trainingspensum ausgeschöpft. Ich kann Profis verstehen, die dopen. Auf ihnen lastet ein ungeheurer Druck, vom Sponsor, von den Teamchefs, von der Öffentlichkeit. Sie verlieren ihre Existenzgrundlage, wenn sie nicht dopen. Die Verwendung so genannter unterstützenden Mittel ist zwar aus sportethischer Sicht ein Betrug, aber kein kriminelles Delikt. Und ist nur eine kleine Hilfe, sich das unvergleichlich superharte Trainings- und Wettkampfleben etwas leichter zu machen.

Ist Doping unerlässlich für die Leistungen im Spitzenradsport?
Für die heutigen Leistungen ja. Der Schnitt bei der letztjährigen Tour de France betrug 41 km/h. Das ist schier unglaublich. Doping, speziell Testosteron und das Wachstumshormon (HGH - d.R.) hilft generell bei zwei Dingen. Es verbessert die Leistung und fördert die Regeneration, wodurch mehr und intensiver trainiert werden kann, was wiederum die Leistung noch effizienter steigert. Man kann zwar ohne Doping eine schwere Alpenetappe absolvieren, doch danach sind die Muskeln ausgebrannt. Man braucht - je nach Trainingszustand - ein bis drei Tage, um sich zu regenerieren. Aber es geht ja bekanntlich auch anders.

Wie macht man das?
Zum Teil ganz einfach. Man nimmt eine geringe Dosis Testosteron zu sich. Zum Beispiel klebt man ein handelsübliches Testosteronpflaster, wie es zur Hormonersatztherapie bei Männern mit Testosteronmangel eingesetzt wird, auf den Hodensack und belässt es dort für etwa sechs Stunden. Testosteron gibt es auch als Gel, man trägt davon eine kleine Menge auf die Haut auf. Die geringe Dosis, die aufgenommen wird, reicht nicht aus, einen positiven Harnbefund beim Dopingtest zu erzeugen, aber der Körper spürt tatsächlich eine schnellere Erholung.

Wie sähe ein idealer Körper für den Radsport aus?
Die, die bei der Tour de France am Start sind, verfügen bereits über diesen idealen Körper. Die Muskulatur späterer Spitzenathleten kann bereits in untrainiertem Zustand etwa 60 ml Sauerstoff pro kg des eigenen Körpergewichts in einer Minute aufnehmen, die des »Normalverbrauchers« hingegen nur ca. 40 ml/kg. Um mit der Weltspitze mithalten zu können, müssen es dann 85 bis 90 ml/kg sein. Das kann, bei entsprechender genetischer Voraussetzung, durch jahrelanges, umfangreiches Training erreicht werden. Zum Teil hilft man mit EPO oder, seit wenigen Jahren, nachdem EPO-Missbrauch auch im Urin nachgewiesen werden kann, wieder mit dem altbekannten Blutdoping nach.

Wie lange hält der Effekt von Blutdoping vor?
Rote Blutkörperchen leben normalerweise drei Monate. 450 bis 900 ml Blut werden dem Athleten einige Wochen vor dem Wettkampf entnommen und als Vollblut oder als Erythrozytenkonzentrat konserviert. Vor dem Wettkampf erfolgt die Rücktransfusion. Auch wenn die transfundierten roten Blutkörperchen etwas vorgealtert sind, sollten sie - zusätzlich zu den körpereigenen - noch zwei bis drei Wochen dem Sauerstofftransport dienen können.

Es reicht also für eine Tour de France?
Davon kann man ausgehen. Doch Blutdoping ist nur ein Faktor. Es kommt darauf an, die ganze Saison über den Hämatokritgehalt des Blutes konstant im oberen Bereich des Erlaubten zu halten. Früher, vor dem Nachweis von EPO, haben die Athleten zum Beispiel dreimal pro Woche 4000 Einheiten gespritzt. Jetzt spritzen sie fast täglich eine kleine Dosis. Aufgrund der relativ kurzen Halbwertszeit von EPO ist damit der Nachweis im Harn eher unwahrscheinlich. Abgesehen davon wird der Harn immer noch selten auf EPO kontrolliert; solche Tests kosten viel Geld.

Doping hat auch eine ökonomische Komponente. Die meisten Präparate sind teuer. Bei Blutdoping braucht man die Infrastruktur eines Labors. Wie viel Geld ist da wohl so im Umlauf?
Keine Ahnung. Interessant ist ja, dass die meisten Präparate handelsübliche Medikamente sind, die ursprünglich zur Therapie bestimmter Krankheiten entwickelt und dann erst vom Sport entdeckt. Beim HGH schätzt man, dass 50 Prozent der Produktion, vielleicht sogar mehr, auf dem Schwarzmarkt landen. Bei einer solchen Größenordnung muss man befürchten, dass es undichte Stellen bei den Pharmakonzernen gibt. Es handelt sich um einen wirklichen Markt. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass ein Profiathlet für das ganze Paket aus Präparaten, medizinischer Betreuung und Infrastruktur bis zu 40 000 Euro pro Saison ausgibt.

Woher haben Sie diese Zahl?
Dazu kann ich nichts sagen, aber ich halte sie für realistisch.

Worin sehen Sie als Sportarzt die Hauptaufgabe Ihres Berufs?
Primär in der Erhaltung der Gesundheit. Die Leistungssteigerung obliegt primär dem Trainer. Als Sportmediziner führt man die Leistungsdiagnostik durch und bespricht das Ergebnis mit dem Trainer und Athleten.

Haben Sie Verständnis für Berufskollegen wie den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes?
Nein. Absolut nicht. Ich kann nur vermuten, dass er aus ökonomischen Interessen so gehandelt hat. Wenn ich hier so offen über Doping rede, heißt das ja nicht, dass ich es selbst praktiziere. Ich denke nur, dass Klarheit über diese Praxis herrschen und man nicht die Augen verschließen sollte.

Lance Armstrong war immer auf den Punkt austrainiert, sogar sein Gesicht wies keine Spur Fett auf. Heißt das, man kann schon an äußeren Indikatoren festmachen, wer mutmaßlich dopt?
Armstrong hatte vor seinem Krebs tatsächlich eine andere Physiognomie. Man erinnere sich, welch bulliger Fahrer 1993 Weltmeister wurde. Eine solche Erkrankung zehrt natürlich an den Reserven. Wenn jemand einen extrem niedrigen Körperfettanteil aufweist, kann das natürlich auch bedeuten, dass derjenige mit HGH gedopt hat. Für Insider ist es ein Anzeichen. Sehen sie sich mal die weltbesten 100-m-Sprinter an, wie scharf die das ganze Jahr über muskeldefiniert sind. Auch die offensichtliche Veränderung der Körperzusammensetzung von Jan Ullrich ist beeindruckend. Jeden Winter hat er Übergewicht und zu Beginn der Tour ist er jedes Jahr austrainiert. Ob mit oder ohne Hilfe von HGH, das weiß nur er.

Wie kann man sich vom Doping befreien?
Das ist schwer. Das ganze System müsste sich ändern. Dafür müsste man viel Aufklärungsarbeit leisten, damit das Ausmaß von Doping bekannt wird und damit Öffentlichkeit und Sponsoren sich klar davon distanzieren können. Man muss Sportlern Anreize setzen, offen über Doping zu reden, man muss den jungen Leuten klar machen, dass es sich nicht lohnt, gedopten Idolen nachzueifern.

Sie gucken die Tour dennoch?
Klar, während der Arbeitswoche nur die Zusammenfassung bei Eurosport, aber an den Wochenenden bin ich live dabei. Ich bin Radsportfan. Man darf nicht immer nur ans Doping denken: Was die Burschen leisten, ist faszinierend.

Interview: Tom MustrophND: Herr Moosburger, hat es Sie überrascht, als in Madrid ein Dopinglabor für einen Teil der Radsportelite entdeckt wurde?
Moosburger: Überhaupt nicht. Wie Sie sich erinnern können, flog vor wenigen Jahren das BALCO-Labor in den USA auf. Solche Dopingzentren gibt es auch in Europa, nicht nur in Madrid. Im Spitzensport wird flächendeckend gedopt. Wer glaubt, dass die jetzt bei der Tour de France fahrenden Profis vom Doping unberührt sind, ist naiv. Es besteht sowieso Chancengleichheit.

Chancengleichheit besteht, wenn alle dopen?
Natürlich. Man hat entweder Chancengleichheit, wenn alle dopen oder wenn keiner dopt.

Und Sie gehen davon aus, dass alle oder so gut wie alle dopen?
Ja. Das ist doch bereits im Mittelklassebereich so. Jeder will sein Leistungsvermögen verbessern. Und irgendwann ist das genetische Potential mit einem maximal möglichen Trainingspensum ausgeschöpft. Ich kann Profis verstehen, die dopen. Auf ihnen lastet ein ungeheurer Druck, vom Sponsor, von den Teamchefs, von der Öffentlichkeit. Sie verlieren ihre Existenzgrundlage, wenn sie nicht dopen. Die Verwendung so genannter unterstützenden Mittel ist zwar aus sportethischer Sicht ein Betrug, aber kein kriminelles Delikt. Und ist nur eine kleine Hilfe, sich das unvergleichlich superharte Trainings- und Wettkampfleben etwas leichter zu machen.

Ist Doping unerlässlich für die Leistungen im Spitzenradsport?
Für die heutigen Leistungen ja. Der Schnitt bei der letztjährigen Tour de France betrug 41 km/h. Das ist schier unglaublich. Doping, speziell Testosteron und das Wachstumshormon (HGH - d.R.) hilft generell bei zwei Dingen. Es verbessert die Leistung und fördert die Regeneration, wodurch mehr und intensiver trainiert werden kann, was wiederum die Leistung noch effizienter steigert. Man kann zwar ohne Doping eine schwere Alpenetappe absolvieren, doch danach sind die Muskeln ausgebrannt. Man braucht - je nach Trainingszustand - ein bis drei Tage, um sich zu regenerieren. Aber es geht ja bekanntlich auch anders.

Wie macht man das?
Zum Teil ganz einfach. Man nimmt eine geringe Dosis Testosteron zu sich. Zum Beispiel klebt man ein handelsübliches Testosteronpflaster, wie es zur Hormonersatztherapie bei Männern mit Testosteronmangel eingesetzt wird, auf den Hodensack und belässt es dort für etwa sechs Stunden. Testosteron gibt es auch als Gel, man trägt davon eine kleine Menge auf die Haut auf. Die geringe Dosis, die aufgenommen wird, reicht nicht aus, einen positiven Harnbefund beim Dopingtest zu erzeugen, aber der Körper spürt tatsächlich eine schnellere Erholung.

Wie sähe ein idealer Körper für den Radsport aus?
Die, die bei der Tour de France am Start sind, verfügen bereits über diesen idealen Körper. Die Muskulatur späterer Spitzenathleten kann bereits in untrainiertem Zustand etwa 60 ml Sauerstoff pro kg des eigenen Körpergewichts in einer Minute aufnehmen, die des »Normalverbrauchers« hingegen nur ca. 40 ml/kg. Um mit der Weltspitze mithalten zu können, müssen es dann 85 bis 90 ml/kg sein. Das kann, bei entsprechender genetischer Voraussetzung, durch jahrelanges, umfangreiches Training erreicht werden. Zum Teil hilft man mit EPO oder, seit wenigen Jahren, nachdem EPO-Missbrauch auch im Urin nachgewiesen werden kann, wieder mit dem altbekannten Blutdoping nach.

Wie lange hält der Effekt von Blutdoping vor?
Rote Blutkörperchen leben normalerweise drei Monate. 450 bis 900 ml Blut werden dem Athleten einige Wochen vor dem Wettkampf entnommen und als Vollblut oder als Erythrozytenkonzentrat konserviert. Vor dem Wettkampf erfolgt die Rücktransfusion. Auch wenn die transfundierten roten Blutkörperchen etwas vorgealtert sind, sollten sie - zusätzlich zu den körpereigenen - noch zwei bis drei Wochen dem Sauerstofftransport dienen können.

Es reicht also für eine Tour de France?
Davon kann man ausgehen. Doch Blutdoping ist nur ein Faktor. Es kommt darauf an, die ganze Saison über den Hämatokritgehalt des Blutes konstant im oberen Bereich des Erlaubten zu halten. Früher, vor dem Nachweis von EPO, haben die Athleten zum Beispiel dreimal pro Woche 4000 Einheiten gespritzt. Jetzt spritzen sie fast täglich eine kleine Dosis. Aufgrund der relativ kurzen Halbwertszeit von EPO ist damit der Nachweis im Harn eher unwahrscheinlich. Abgesehen davon wird der Harn immer noch selten auf EPO kontrolliert; solche Tests kosten viel Geld.

Doping hat auch eine ökonomische Komponente. Die meisten Präparate sind teuer. Bei Blutdoping braucht man die Infrastruktur eines Labors. Wie viel Geld ist da wohl so im Umlauf?
Keine Ahnung. Interessant ist ja, dass die meisten Präparate handelsübliche Medikamente sind, die ursprünglich zur Therapie bestimmter Krankheiten entwickelt und dann erst vom Sport entdeckt. Beim HGH schätzt man, dass 50 Prozent der Produktion, vielleicht sogar mehr, auf dem Schwarzmarkt landen. Bei einer solchen Größenordnung muss man befürchten, dass es undichte Stellen bei den Pharmakonzernen gibt. Es handelt sich um einen wirklichen Markt. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass ein Profiathlet für das ganze Paket aus Präparaten, medizinischer Betreuung und Infrastruktur bis zu 40 000 Euro pro Saison ausgibt.

Woher haben Sie diese Zahl?
Dazu kann ich nichts sagen, aber ich halte sie für realistisch.

Worin sehen Sie als Sportarzt die Hauptaufgabe Ihres Berufs?
Primär in der Erhaltung der Gesundheit. Die Leistungssteigerung obliegt primär dem Trainer. Als Sportmediziner führt man die Leistungsdiagnostik durch und bespricht das Ergebnis mit dem Trainer und Athleten.

Haben Sie Verständnis für Berufskollegen wie den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes?
Nein. Absolut nicht. Ich kann nur vermuten, dass er aus ökonomischen Interessen so gehandelt hat. Wenn ich hier so offen über Doping rede, heißt das ja nicht, dass ich es selbst praktiziere. Ich denke nur, dass Klarheit über diese Praxis herrschen und man nicht die Augen verschließen sollte.

Lance Armstrong war immer auf den Punkt austrainiert, sogar sein Gesicht wies keine Spur Fett auf. Heißt das, man kann schon an äußeren Indikatoren festmachen, wer mutmaßlich dopt?
Armstrong hatte vor seinem Krebs tatsächlich eine andere Physiognomie. Man erinnere sich, welch bulliger Fahrer 1993 Weltmeister wurde. Eine solche Erkrankung zehrt natürlich an den Reserven. Wenn jemand einen extrem niedrigen Körperfettanteil aufweist, kann das natürlich auch bedeuten, dass derjenige mit HGH gedopt hat. Für Insider ist es ein Anzeichen. Sehen sie sich mal die weltbesten 100-m-Sprinter an, wie scharf die das ganze Jahr über muskeldefiniert sind. Auch die offensichtliche Veränderung der Körperzusammensetzung von Jan Ullrich ist beeindruckend. Jeden Winter hat er Übergewicht und zu Beginn der Tour ist er jedes Jahr austrainiert. Ob mit oder ohne Hilfe von HGH, das weiß nur er.

Wie kann man sich vom Doping befreien?
Das ist schwer. Das ganze System müsste sich ändern. Dafür müsste man viel Aufklärungsarbeit leisten, damit das Ausmaß von Doping bekannt wird und damit Öffentlichkeit und Sponsoren sich klar davon distanzieren können. Man muss Sportlern Anreize setzen, offen über Doping zu reden, man muss den jungen Leuten klar machen, dass es sich nicht lohnt, gedopten Idolen nachzueifern.

Sie gucken die Tour dennoch?
Klar, während der Arbeitswoche nur die Zusammenfassung bei Eurosport, aber an den Wochenenden bin ich live dabei. Ich bin Radsportfan. Man darf nicht immer nur ans Doping denken: Was die Burschen leisten, ist faszinierend.

Interview: Tom Mustroph

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