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Eine statt 28 EU-Wahlen?

Tim Weber zum Für und Wider eines gemeinsamen Gesetzes zur Europawahl

  • Tim Weber
  • Lesedauer: 4 Min.

Soll es für das Europäische Parlament ein einheitliches Wahlrecht geben? Die Frage wird auch bei Mehr Demokratie kontrovers diskutiert. Die Kritiker argumentieren, dass Europa von der Vielfalt lebe und es keine Notwendigkeit gebe, das Wahlrecht zu vereinheitlichen. Die Befürworter hingegen führen ins Feld, dass es schließlich ein Parlament sei und die Unübersichtlichkeit sowie Unverständlichkeit der Europäischen Union sich unnötig im Wahlrecht ausdrücke.

Eigentlich finden vom 22. bis 25. Mai 28 Wahlen statt. In Deutschland werden 96 Abgeordnete für das Europäische Parlament gewählt - es gibt keine Sperrklausel mehr - in Österreich sind es 19 Abgeordnete, die Sperrklausel beträgt dort vier Prozent. In Großbritannien werden 73 Abgeordnete in 12 Bezirken beim Urnengang bestimmt.

Immerhin gibt es, seit die Europawahlen praktiziert werden, Grundsätze. Sie sind geregelt im Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen. Danach gilt das Verhältniswahlsystem, das Modell der übertragbaren Einzelstimme (Irland) ist zugelassen. Es darf eine Sperrklausel geben, jedoch nicht höher als fünf Prozent. Es gibt vier Wahlrechtsgrundsätze: allgemein, unmittelbar, frei und geheim.

Wie bitte? Gleich sind die Wahlen nicht? Der Gleichheitsgrundsatz gilt tatsächlich nicht. Denn ein Abgeordneter aus Italien benötigt wesentlich mehr Stimmen als ein Abgeordneter aus Zypern oder Malta.

Es wird gerne eingewandt, dass auf diese Weise nun einmal das föderale Prinzip berücksichtigt werde, die kleinen Länder müssten mit genügend Abgeordneten vertreten sein. Nun gut, aber kann man damit wirklich rechtfertigen, dass in Polen ca. 562 000 Stimmen und in Italien ca. 621 000 Stimmen für einen Abgeordnetensitz nötig sind? Neben dem Gesichtspunkt, dass kleinere Länder mit genügend Abgeordneten vertreten sein sollen, spielen wohl auch Aushandlungsprozesse eine Rolle dabei, welches Land mit wie vielen Mandaten ausgestattet ist.

Da es sich nicht um eine EU-Wahl, sondern um 28 EU-Wahlen handelt, die vorgeben, eine EU-Wahl zu sein, ist diese Ungleichheit zwischen den Ländern auch zu begründen. Innerhalb der Länder gilt schließlich der Gleichheitsgrundsatz. So ist eigentlich erstaunlich, dass überall das Verhältniswahlsystem akzeptiert wurde. Denn mit der Gewährleistung der Gleichheit auf nationaler Ebene hätten Großbritannien und Frankreich auch ihr Mehrheitswahlrecht behalten können.

Wer ein einheitliches Wahlrecht fordert, muss sich auch Gedanken über den Umbau der Europäischen Union machen. Hier lohnen Blicke in die USA oder in die Schweiz, wo Bundesstaaten eine hohe Eigenständigkeit aufweisen. Deutschland eignet sich weniger als Beispiel, da die meisten Gesetzgebungskompetenzen auf Bundesebene liegen.

Es bedürfte eines Zwei-Kammer-Systems, in dem beide - Abgeordnetenhaus und Senat - einem Gesetzentwurf zustimmen müssten, damit er in Kraft tritt. Für die Abgeordnetenkammer würde der Gleichheitsgrundsatz gelten: Kleine Staaten wären nur mit einem Abgeordneten, Deutschland aber mit 100 vertreten. Im Senat hätte jeder Staat zum Beispiel zwei Vertreter, hier würde das föderale Prinzip zum Zuge kommen. Aber auch in dieser Frage gibt es bei Mehr Demokratie unterschiedliche Ansichten.

Interessanterweise ist das Wahlrecht ein fast schon symbolischer Streitpunkt darüber, wie viel Einheitlichkeit es in der Europäischen Union geben darf. Die Kritik, dass in einem kontinuierlichen Prozess Kompetenzen an die EU gehen und dass dies durchaus eine Gefährdung der Demokratie in den Mitgliedsstaaten darstellt, teile ich. Die Antwort auf diese Herausforderung kann aber nicht in einem ängstlichen Festhalten an scheinbaren nationalstaatlichen Errungenschaften liegen. Vielmehr bedürfte es Änderungen der Grundlagenverträge, die trennschärfer regeln müssen, welche Fragen auf welcher Ebene entschieden werden. Vor allen Dingen muss die personelle Zusammensetzung der Organe klar getrennt werden. Es ist verkehrt, dass die Regierungen der Mitgliedsstaaten (Exekutive) als Gesetzgeber in den Ministerräten der Europäischen Union wirken (Legislative). Die Kritik an der Machtfülle der EU ist gerade en vogue. Es sind aber die Regierungen der Mitgliedsstaaten, die den Weg ebnen. Ein einheitliches Wahlrecht für das Europäische Parlament, das würde schon gehen, es stehen aber wichtigere Fragen an.

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