»Mir ist kalt, kalt, kalt«
Ein schlichtes rotes Taschentuch, aufgestickt ist eine Zahl: 4714. Das war Milena Jesenskás Häftlingsnummer im Frauen-KZ Ravensbrück. Ihre Mithäftlinge gaben ihr deshalb den Spitznamen »4711«, nach dem bekannten Eau de Cologne. Das Taschentuch ist die einzige Hinterlassenschaft der Brieffreundin und Übersetzerin des Schriftstellers Franz Kafka, die sich im Archiv der Gedenkstätte Ravensbrück fand.
Vor 70 Jahren, am 17. Mai 1944, starb Milena Jesenská nach dreieinhalb Jahren Haft in Ravensbrück an einem Nierenleiden. »Ich brauche Wärme, Wärme, Wärme und mir ist kalt, kalt, kalt, ich friere, wie ein junger Hund«, hatte sie im September 1943 dem Vater nach Prag geschrieben. Dieser Brief Milena Jesenskás ist das letzte persönliche Lebenszeugnis. Es gehört zu 14 bislang unbekannten Briefen, die im Mittelpunkt der Ausstellung stehen.
Unter dem Titel »Milena Jesenská. Eine Retrospektive. Prag - Wien - Dresden - Ravensbrück« würdigt die Ausstellung Leben und Wirken der tschechischen Journalistin und Intellektuellen. Die Briefe, die 2012 im Archiv der tschechischen Staatssicherheit aufgetaucht waren, wurden abgeschrieben und aus dem Tschechischen übersetzt.
»Es sind sehr berührende Dokumente«, erzählt Gedenkstättenleiterin Insa Eschebach: »Wir erfahren viel über ihre Haftbedingungen, das geht schon unter die Haut.« Im Mittelpunkt der Ausstellung steht ein langer weißer Tisch, aufgedruckt auf Plexiglasplatten sind Fotokopien der Briefe. Die Originale wurden bereits 1945 vernichtet, doch es gab Fotografien davon. In einer Akte lagen sie Jahrzehnte lang im Verborgenen.
Sieben hohe Ausstellungsstelen stellen nun in der Gedenkstätte mit Texten, Fotos und Dokumenten Lebensstationen der 1896 in Prag geborenen Milena Jesenská vor, erzählen von ihrer Kindheit und Jugend in einer großbürgerlichen Familie, ersten Ausbruchsversuchen aus dem bürgerlichen Milieu und den ersten Schritten als Journalistin.
Die zweisprachige Ausstellung erweitert so das Bild der Kafka-Brieffreundin und charakterisiert sie als sensibel beobachtende, politisch engagierte Publizistin. Ende der 30er Jahre ging sie in den Widerstand: Als die Deutschen 1939 in Prag einmarschieren, beginnt Milena Jesenská für eine Untergrundzeitung zu schreiben. Sie wird von der Gestapo verhaftet und kommt schließlich 1940 ins Frauen-KZ Ravensbrück. »Ich sehe gut aus, bin schlank geworden und sehr beweglich«, schreibt sie im August 1941 betont fröhlich an den Vater und ihre 12-jährige Tochter: »Ich glaube, wenn ich wieder einmal frei sein werde, ertrage ich das Glück gar nicht.«
Spätere Briefe dokumentieren, dass ihr die Haft immer mehr zusetzt. Pakete mit Essen, die ihr der Vater schickt, bedeuten körperliche wie seelische Stärkung, Hunger, auch nach Zärtlichkeit, spricht aus den Briefen. Und immer wieder erwähnt sie Krankheit und die Angst, nicht mehr arbeiten zu können: »Nur der hat Recht zu leben, der arbeitet«, schreibt sie und bittet den Vater, einen Arzt, um Unterstützung durch Medikamente. epd/nd
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