Haus der Wirtschaft ist jetzt bunter

Demonstranten in Berlin und Stuttgart gedachten auch der getöteten türkischen Bergarbeiter

  • Malene Gürgen, Berlin, und Hans-Gerd Öfinger, Stuttgart
  • Lesedauer: 4 Min.
Zu den europaweiten Blockupy-Aktionstagen hatten sich auch in Berlin und Stuttgart Tausende zum überwiegend friedlich-fröhlichen Protest versammelt.

Rot, gelb, blau und pink - das Haus der Deutschen Wirtschaft ist jetzt ein bisschen bunter. Das Gebäude auf der Berliner Fischerinsel, das den Bund der Arbeitgeberverbände, die Industrie- und Handelskammer sowie den Bundesverband der Deutschen Industrie beherbergt, zieren Farbkleckse, seit hier am Samstagnachmittag die Berliner Blockupy-Demonstration vorbeigezogen ist.

Etwa 3000 Menschen nahmen an der Demonstration teil, die vom Kreuzberger Oranienplatz bis kurz hinter den Gendarmenmarkt in Mitte führte. Zur Auftaktkundgebung wurden Flüchtlinge verabschiedet, die mit einem Reisebus nach Straßburg aufbrachen, von wo am Montag ein einmonatiger Protestmarsch nach Brüssel starten soll. Tocotronic-Sänger Dirk von Lotzow spielte sein Stück «Fuck you, Frontex». Hauptredner war der LINKE-Vorsitzende Bernd Riexinger.

Angeführt wurde die Demonstration vom Block der Blockupy-Plattform Berlin, der mit vielen bunten Regenschirmen optisch an die Blockuy-Demonstration im letzten Jahr in Frankfurt am Main anknüpfte.

In der Blockupy-Plattform Berlin, die zur Demonstration aufgerufen hatte, sind verschiedene linke Gruppen organisiert, darunter die Interventionistische Linke, Attac, die Grüne Jugend, die Linke.SDS und der Refugee Schul- und Unistreik. Die Plattform, die es seit etwa anderthalb Jahren gibt, hat schon verschiedene lokale Aktionen in Berlin organisiert, unter anderem zum Einzelhandelsstreik und den Protesten von Charité-Angestellten.

Weitere Blöcke kamen unter anderem von Antifa-Gruppen, dem Care-Revolution-Bündnis und verschiedenen linken Jugendgruppen. Im Block der MigrantInnen-Organisation Allmende trugen viele TeilnehmerInnen Schutzhelme und nahmen so Bezug auf die Bergbau-Tragödie im türkischen Soma. «Das war kein Unfall, sondern Mord», stand auf ihren Transparenten.

Die Polizei hielt sich während der Demonstration zunächst zurück, auch nach den Farbwürfen am Haus der Wirtschaft gab es nur einen kleinen und eher unkoordiniert wirkenden Versuch, die Demonstration aufzuhalten. Blockupy-Sprecher Patrick Luzina zeigte sich erfreut über die gelungene Aktion: «Das Haus der Wirtschaft steht für eine Verknüpfung von Neoliberalismus und Rechtspopulismus, die sich heute - auch personell mit Hans-Olaf Henkel, dem ehemaligen Präsidenten des BDI - in der Partei Alternative für Deutschland widerspiegelt».

«Nein zur EZB, nein zum Spardiktat, wir besetzen jetzt die ganze Stadt» und weitere Sprechchöre gegen die europäische Krisenpolitik, für das Bleiberecht von Flüchtlingen, gegen Rechtspopulismus und Verarmung prägten den Aufzug. «Wir zeigen, dass wir das europäische Krisenregime nicht akzeptieren und für ein anderes, grenzenloses und solidarisches Europa kämpfen», so Sprecher Luzina.

Nachdem die Demonstration bei strahlendem Sonnenschein vorbei an staunenden Touristen, darunter dem ein oder anderen nach Berlin gereisten Fußballfan, über den Gendarmenmarkt gezogen war, kam es doch noch zu einem Zwischenfall mit der Polizei. Für die meisten Teilnehmer und Teilnehmerinnen überraschend, griffen Beamte am U-Bahnhof Mohrenstraße die Spitze der Demonstration an und nahm mindestens zwei Menschen aus dem vorderen Teil fest. «Gerade noch liefen die Polizisten ganz normal neben uns her, dann stürmten sie plötzlich in die Demo und schubsten dabei mehrere Leute um mich herum zu Boden», berichtete später eine Teilnehmerin.

«Unsere bunte und friedliche Demonstration wurde von auffallend aggressiven Polizeibeamten unnötig gestört», sagte Patrick Luzina. Die Veranstalter entschlossen sich daraufhin, die Demonstration schon hier und damit ein paar hundert Meter früher als geplant zu beenden.« Alle Festgenommenen wurden noch im Laufe des Tages entlassen.

Ein Hip-Hop-Abschlusskonzert gab es mit etwas Verzögerung dann aber doch noch. Luzina meinte, die »Demonstration war ein großer Erfolg. Wir sind begeistert davon, dass so viele Menschen gemeinsam mit uns für ein Europa von unten demonstriert haben.«

In Stuttgart setzte sich der Demonstrationszug mit rund 2000 Teilnehmern vom Hauptbahnhof erst mit Verspätung in Bewegung. Grund hierfür waren umfangreiche Polizeikontrollen an ankommenden Zügen und Bussen mit Demonstranten aus Schwäbisch Gmünd, Mannheim, Karlsruhe, Freiburg und anderen Orten. Das ist eine »Riesensauerei«, meinte ein Vertreter von ver.di Südbaden bei der Abschlusskundgebung und forderte unter dem Beifall der Teilnehmer die Löschung aller bei den Polizeimaßnahmen und der erkennungsdienstlichen Behandlung gesammelten personenbezogenen Daten.

Der Stuttgarter ver.di-Geschäftsführer Cuno Hägele rief zu einer Schweigeminute für die beim jüngsten Grubenunglück in der Türkei ums Leben gekommen Bergarbeiter auf. »Das sind die Kollateralschäden der Privatisierung«, meinte ein weiterer Redner. Das Fazit von Mitgliedern der Stuttgart-21-Protestbewegung lautet dann auch: »Die Straße ist und bleibt das Podium der Opposition.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -