Der Feuerkopf
Vor 75 Jahren starb Ernst Toller, einer der lautersten und tapfersten Schriftsteller
Er war der Glühendste von allen, eine lodernde Flamme, unerschrocken und selbstlos. Seine Kameraden, von den Nazis verfolgt wie er, glaubten, er sei sogar der Stärkste von ihnen, nicht zu brechen, nicht zu entmutigen, immer voller Zuversicht, immer hilfsbereit. Keiner war unter ihnen, der sich so aufrieb für die bedrängten, verzweifelten Kameraden, der Geld auftrieb, Trost spendete und Mut zusprach. Und dann diese Nachricht: Am 22. Mai 1939 hatte sich Ernst Toller, den sie alle liebten und bewunderten, in seinem New Yorker Hotelzimmer erhängt. Nie war das Entsetzen unter den verstreuten Exilanten so groß.
Seinem armen Freund Joseph Roth in Paris riss es den Boden unter den Füßen weg. Er trank sich nun endgültig zu Tode und starb, unbeachtet, unversorgt, Tage danach unter erbärmlichen Umständen in einem Spital. Fritz H. Landshoff, der Vertraute, der Querido-Verleger in Amsterdam, der gerade zu Verhandlungen in New York weilte, brach zusammen. »Im Augenblick ist es so«, schrieb Klaus Mann am 23. Mai in einem Brief, »daß man wirklich zweifeln muß, ob er ›durchkommt‹.«
Schockstarre überall. Er musste am Sarg reden, schrieb Klaus Mann, und wagte es nicht, ins Gesicht des Toten zu blicken. Der Schmerz hätte die Stimme erstickt. »Er war mir ein guter Kamerad«, bekannte Kurt Hiller im Nachruf, »ich traure um ihn.« Und vergaß dabei nicht, an die jüdischen Literaten zu erinnern, »deren Namen mit dem Versuch von 1918/19 verknüpft bleiben, in Bayern eine sozialistische Republik zu errichten«: Kurt Eisner auf offener Straße erschossen, Gustav Landauer ermordet, Eugen Leviné hingerichtet, Erich Mühsam im KZ gemeuchelt. Und nun auch Ernst Toller, »exekutiert kraft des Todesurteils, das er über sich selbst verhängte. Welch ein Jahrhundert!«
Ernst Toller war zwanzig Jahre alt, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Er zog mit Begeisterung den Soldatenrock an. Und kam als Pazifist wieder. Er reihte sich, 1917 aus dem Militär entlassen, in die Front streikender Arbeiter ein, war dabei, als die Novemberrevolution Bayern erreichte, wurde führender Kopf der Münchner Räterepublik, von den weißen Terrorbanden gejagt und schließlich verhaftet, in die Todeszelle geworfen und zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Er war dreißig, als er wieder frei war, fest entschlossen, weiter für seine Ideale zu kämpfen. »Mein Haar wird grau«, schrieb er. »Ich bin nicht müde.«
Ein Schwalbenpaar hat ihm damals die einsamen, trüben Tage erhellt. Es nistete in Tollers Zelle und hatte alle Scheu verloren. Er war still und glücklich und dankbar, heißt es in seinem Erinnerungsbuch »Eine Jugend in Deutschland«, und er begann, was er beobachtet, gefühlt und gedacht hatte, in ein kleines Buch zu schreiben. Der Titel lag auf der Hand: »Das Schwalbenbuch«. Es enthielt Verse, ganz ungefährliche Verse, sagt Toller, trotzdem wurde das Manuskript beschlagnahmt, der Häftling in eine andere Zelle gebracht, das Nest zerstört. Als der Gedichtband endlich erscheinen konnte, 1924, riss man sich das Büchlein aus den Händen. Toller war jetzt berühmt. Er hatte seinen Peinigern getrotzt und sich nicht kleinkriegen lassen. Schon 1919 war sein Stück »Die Wandlung«, verfasst in der Haft, einer der größten Theatererfolge gewesen.
Tollers Dramen rührten und begeisterten das Publikum: 1919 »Masse Mensch«, 1922 »Die Maschinenstürmer« und »Hinkemann«, 1923 »Der entfesselte Wotan«. Er hatte voller Hoffnung die Festung verlassen, aber die Ernüchterung kam schnell. Er schrieb sie in sein Stück »Hoppla, wir leben«, er warnte vor der Barbarei, die er kommen sah, arbeitete für Zeitungen, verfasste Pamphlete, reiste in die Sowjetunion, in die USA, nach Spanien, schrieb und redete, ein Feuerkopf mit Liebe zum Pathos, der versuchte, die Katastrophe aufzuhalten.
Am 28. Mai 1933 stand Ernst Toller in Dubrovnik vor den Delegierten des PEN-Kongresses und sprach im Namen derer, die in Deutschland verboten waren, verjagt, inhaftiert, ihre Bücher vernichtet. Die Nazis hatten auch nach ihm fieberhaft gesucht, aber er weilte glücklicherweise gerade in der Schweiz. »Dieses Geschenk der Freiheit«, rief er jetzt, »ist eine Verpflichtung gegen alle Kameraden, die in Deutschland im Gefängnis leben.« Er nannte ihre Namen, alle. Die deutsche Delegation, die den NS-Staat vertrat und alles unternommen hatte, um Tollers Auftritt zu verhindern, war aus Protest schon vorher abgereist. Seine Rede, weltweit beachtet, ist damals in vielen Sprachen veröffentlicht worden. Er war über Nacht die Stimme des Exils geworden. Drei Monate später, am 23. August 1933, stand er, mit Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Kurt Tucholsky, auf der ersten Ausbürgerungsliste der Nazis.
Noch im selben Jahr erschien bei Querido in Amsterdam Tollers »Eine Jugend in Deutschland«, eins der glanzvollsten Zeugnisse der Exilliteratur, eine Folge knapper, furios hingeworfener Szenen, die ein tapferes Leben erzählen und illustrieren, wie das 1918 total erschöpfte Land langsam dem Januar 1933 entgegentaumelte. 1935 publizierte er seine Gefängnisbriefe, dann noch Dramen. Die Zuversicht, die er sich lange bewahrt hatte, schwand nun von Jahr zu Jahr.
In England hoffte er, als Dramatiker Fuß fassen zu können, in den USA als Drehbuchautor. Beides gelang nicht. Er litt seit der Haft unter Schlaflosigkeit, wurde immer depressiver, musste sich in London in psychologische Behandlung begeben, und nur die Ehe mit einer blutjungen Schauspielerin, die ihm ins Exil gefolgt war, bescherte ihm Momente des Glücks. Seine besten Jahre hatte er im Krieg, in Gefängnissen, auf der Flucht und in der Fremde verbracht. 1939 war die Kraft verbraucht, der Lebensmut gebrochen.
»Wie hat Toller in den Jahren des Exils gelitten - um Deutschland, um Europa, um die Leidenden«, schrieb Hermann Kesten. »Er ist offenbar in Verzweiflung und Verwirrung gestorben. Aber so lange er gelebt hat, liebte er die Menschen. Er war kein Heiliger. Aber wenn es fühlende Menschen auf Erden gibt, die das Gute wollen, so war er einer. Wenn es Menschen gibt, die nicht schweigen können, wenn sie ein Unrecht sehn, so war er einer.«
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