Vom Protesthelden zum linken Realpolitiker

Der griechische Oppositionsführer Alexis Tsipras erinnert das EU-Führungspersonal an dessen Versagen in der Wirtschafts- und sozialen Krise

  • Anke Stefan, Athen
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit Alexis Tsipras als Spitzenkandidat hat die Europäische Linke einen Jungpolitiker und dezidierten Gegner des Sparkurses in EU-Europa ins Rennen geschickt.

Sein Markenzeichen ist das Fehlen eines Accessoires, das Männer in seinem Beruf gewöhnlicherweise schmückt: Bei der Fernsehdebatte der Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten in der vergangenen Woche trug Alexis Tsipras keine Krawatte und auch beim jährlichen Empfang des Republikpräsidenten blieb der Hals des griechischen Oppositionsführers unbedeckt. Doch ein Enfant terrible, wie es die dezidierte Missachtung der bürgerlichen Kleiderordnung suggeriert, ist der Vorsitzende der Allianz der radikalen Linken (SYRIZA) längst nicht mehr. Der in Schülertagen in der Jugendorganisation KNE der Kommunistischen Partei Griechenlands organisierte Athener hat sich in einen linken Realpolitiker entwickelt, dem durchaus zuzutrauen ist, in nicht allzu ferner Zukunft die Zügel der Regierung Griechenlands in die Hand zu nehmen.

In die Wiege gelegt wurde ihm die Karriere als Politiker dabei nicht. Der mit der Elektroingenieurin Peristera Baziana lebende Vater zweier kleiner Söhne entstammt im Gegensatz zu vielen »großen Namen« in der griechischen Politik keiner Berufspolitikerfamilie. Und als der inzwischen fast 40-Jährige 2008 den Vorsitz von Synaspismos, der größten Einzelorganisation des heute zu einer Partei verschmolzenen Linksbündnisses SYRIZA, übernahm, hätte sich kaum jemand träumen lassen, dass die damalige Vierprozentpartei bereits vier Jahre später mit 27 Prozent nur ganz knapp den Sieg bei den Parlamentswahlen im Sommer 2012 verfehlen würde.

Für die Nachfolge des bis dahin von Alekos Alavanos geleiteten Synaspismos hatte sich 2008 außer Tsipras auch Fotis Kouvelis beworben. Mit über 70 gegenüber knapp 29 Prozent hatte der damals 35-jährige Tspiras die Wahl klar für sich entschieden. Alekos Alavanos verließ die ihm zu weit nach rechts gerückte Partei 2011 und gründete eine neue, die vor allem für einen Austritt aus EU und Euro steht. Für den einstigen Mentor von Tsipras ist das der einzige Weg für eine Lösung der Krise Griechenlands. Auch Fotis Kouvelis hat SYRIZA längst den Rücken gekehrt, allerdings aus den genau entgegengesetzten Gründen. Der Jurist verließ die Partei, als sich die von ihm geforderte Ausrichtung auf einen Eintritt in Regierungsverantwortung auch als Juniorpartnerin nicht durchsetzen konnte. Mit seiner kurz darauf gegründeten Partei »Demokratische Linke« (DIMAR) setzte Kouvelis im Sommer 2012 diese Vorstellung um und zog als kleinste Kraft in die »Nationale Einheitsregierung« mit konservativer Nea Dimokratia und sozialdemokratischer PASOK ein. Nur ein Jahr später verließ DIMAR aber aus Protest gegen die von Ministerpräsident Samaras im Alleingang entschiedene Schließung der griechischen öffentlichen rechtlichen Sendeanstalt ERT die Koalition.

Alexis Tsipras, seit 2010 auch Vizepräsident der Europäischen Linken, ist dagegen von revolutionären Plänen außerhalb des Euros und der EU ebenso weit entfernt wie von der Rolle des Juniorpartners in einer Regierung. Sein unmittelbares Ziel ist der »Sturz der Memorandumspolitik«, ausgeführt von einer Koalition, in der SYRIZA die größte Kraft darstellt. Dabei ist Tsipras überzeugt, dass die Gläubigertroika mindestens ebenso sehr wie SYRIZA an einem Verbleib Griechenlands in europäischer Allianz und Währung interessiert ist. Ein Schuldenschnitt, wie er 1953 für Deutschland durchgeführt wurde, müsse als Akt wahrer europäischer Solidarität heute auch für Griechenland möglich sein. Damit wirbt Tsipras derzeit bei unzähligen Wahlkampfauftritten in vielen EU-Ländern.

In der Fernsehdebatte brachte der engagierte, aber im Grunde chancenlose Kandidat für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten sein Programm auf den Punkt: »Wir müssen anfangen, für sozialen Zusammenhalt, Jobs und Entwicklung zu sorgen. Wir müssen mit der Rezession und dem Sparkurs aufhören. Schluss mit der Schuldenparanoia!«

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