Rechtspopulist Wilders verliert Stimmen bei Europawahl
Erste Zahlen aus den Niederlanden: Sozialisten vor Sozialdemokraten / Auch Briten haben schon gewählt - aber keine Prognosen / Bis Sonntag können insgesamt etwa 400 Millionen Menschen mit ihrer Stimme die 751 Abgeordneten wählen
21.15 Uhr: Die anti-europäische Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders hat bei der Europawahl in den Niederlanden im Vergleich zur vorangegangenen Wahl überraschend Stimmen verloren. Das geht aus der Prognose hervor, die das niederländische Fernsehen am Donnerstagabend nach Schließung der Wahllokale veröffentlichte. Den Prognosen zufolge hat Wilders PVV etwa 4 Prozent verloren. Auch die christdemokratische CDA verliert, bleibt aber stärkste Kraft. Auf Rang drei landet die linksliberale D66 mit etwa 15 Prozent. D66-Fraktionschef Alexander Pechtold sprach von einem »überzeugenden Votum für Europa«. Die niederländische Linkspartei Socialistische Partij könnte nach den ersten Prognosen mit 10 Prozent zulegen - um etwa 3 Prozent, sie überholt damit die sozialdemokratische PvdA, die nur noch auf etwa 9,4 Prozent kommt. Gewinne können die Grünen verzeichnen. Die Prognose beruht auf Befragungen von rund 40 000 Wählern nach der Stimmabgabe. Offizielle Ergebnisse werden erst nach Schließung der letzten Wahllokale in Europa am Sonntagabend nach 23.00 Uhr in Italien bekanntgegeben. Auch Großbritannien hat bereits am Donnerstag gewählt - hier wird es aber keine Prognosen geben. Am Freitag wählen Irland und Tschechien.
Die Europawahlen haben begonnen
London. Die Niederlande und Großbritannien stimmen am Donnerstag als erste der 28 EU-Länder ab. Insgesamt sind bis zum Sonntag in der EU rund 400 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, über die Zusammensetzung des künftigen Europaparlaments zu entscheiden. In den Niederlanden öffneten die Wahllokale am Donnerstag landesweit um 7.30 Uhr, eine halbe Stunde konnten auch die Briten an die Urnen. Nur in Maastricht ging es schon um Mitternacht los. Kurz nach Mitternacht gab der Bürgermeister der südniederländischen Provinzhauptstadt, Onno Hoes, bei einem Wahlfest in einem Popmusik-Zentrum seine Stimme ab. Das Gros der Unionsbürger wird erst am Sonntag abstimmen. Offizielle Ergebnisse dürfen EU-weit erst am späten Sonntagabend von 23.00 Uhr an veröffentlicht werden, wenn auch die letzten Wahllokale in Italien geschlossen haben.
Im traditionell europakritischen Großbritannien bestimmen die Wähler 73 der insgesamt 751 Europaabgeordneten. Demoskopen erwarten dabei ein starkes Abschneiden der rechtsgerichteten Partei UKIP mit ihrem Vorsitzenden Nigel Farage. Die Rechtspopulisten, die vor allem mit dem Austritt aus der EU und dem Thema Zuwanderung Stimmung machen, könnten Umfragen zufolge mit bis zu 30 Prozent stärkste politische Kraft auf der Insel werden. In den Niederlanden, wo rund 12,5 Millionen Wahlberechtigte über die 26 holländischen Europaparlamentarier entscheiden, dominierten euroskeptische Parteien den Wahlkampf. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Gegner und Freunde Europas voraus. Sowohl die linksliberale D66 mit einem ausdrücklich pro-europäischen Kurs als auch die Partei für die Freiheit (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wilders könnten mit je 5 Mandaten stärkste Kraft werden.
Insgesamt wird das neue Parlament 751 Abgeordnete haben, derzeit sind es - nach dem Beitritt Kroatiens als 28. EU-Mitglied 766. Mit 96 Abgeordneten stellt Deutschland die meisten Parlamentarier aller Mitgliedsländer, es folgt Frankreich mit 74. Luxemburg, Estland, Zypern und Malta stellen mit je sechs die wenigsten Abgeordneten. Derzeit gibt es sieben Fraktionen, nach den Wahlen könnte ein Verbund der Rechtspopulisten hinzukommen. Zur Bildung einer Fraktion sind mindestens 25 Abgeordnete aus 7 EU-Ländern nötig.
Die Europawahl in Zahlen und Fakten
Das neue Parlament wird 751 Abgeordnete haben, derzeit sind es (nach dem Beitritt Kroatiens) 766. Mit 96 Abgeordneten stellt Deutschland die meisten Parlamentarier aller Mitgliedsländer, es folgt Frankreich mit 74. Luxemburg, Estland, Zypern und Malta stellen mit je sechs die wenigsten Abgeordneten. Derzeit gibt es sieben Fraktionen, nach den Wahlen könnte ein Verbund der Rechtspopulisten hinzukommen. Zur Bildung einer Fraktion sind mindestens 25 Abgeordnete aus 7 EU-Ländern nötig. Das Parlament hat wichtige Kompetenzen in der EU-Gesetzgebung. Es muss dem jährlichen EU-Haushalt zustimmen. Auch der mehrjährige Finanzrahmen muss von den Abgeordneten gebilligt werden. Vom Wahlergebnis soll erstmals auch abhängen, wer Präsident der EU-Kommission wird. Nötig ist die absolute Mehrheit der Stimmen im Europaparlament, also 376. Offizieller Sitz des Parlaments ist Straßburg, wo auch die zwölf monatlichen Plenartagungen einschließlich der Haushaltstagung stattfinden. Weitere Plenartagungen sind in Brüssel. Dort treten auch die Ausschüsse des Europäischen Parlaments zusammen. Der Pendelverkehr zwischen Brüssel und Straßburg kostet Kritikern zufolge bis zu rund 200 Millionen Euro im Jahr.
Die politischen Familien im Europaparlament
Rund 160 verschiedene nationale Parteien aus 28 Ländern sind im Europäischen Parlament vertreten. Die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten gehört einer der sieben Parlamentsfraktionen an, 33 sind fraktionslos. Ein Überblick:
Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (KVEL/NGL) - European United Left-Nordic Green Left (GUE-NGL)
Bündnis sozialistischer und kommunistischer Parteien. Unter den 34 Abgeordneten sind acht Politiker der Linkspartei, die Deutsche Gabriele Zimmer (Die Linke) führt die Fraktion an.
Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz (GRÜNE/EFA) - The Greens-European Free Alliance (GREENS/EFA)
Der Zusammenschluss der Europäischen Grünen und der regionalistischen Europäischen Freien Allianz zählt 57 Mitglieder, die meisten aus Frankreich (15) und Deutschland (14). Die Gruppe wird derzeit von Daniel Cohn-Bendit (Frankreich) und Rebecca Harms (Deutschland) geführt.
Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) - European People's Party (EPP)
Die EVP-Fraktion ist mit 273 Abgeordneten die stärkste Gruppe im Parlament. Die Christdemokraten und Konservativen, darunter 42 von CDU und CSU, wählten Jean-Claude Juncker zu ihrem Spitzenkandidaten. Neben der französischen UMP und der polnischen Bürgerplattform mischt auch die Forza Italia des italienischen Ex-Regierungschefs Silvio Berlusconi mit. Auch die nationalkonservative Fidesz-Partei des umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban stellt 13 EVP-Mandate. Scheidender Fraktionschef ist der UMP-Politiker Joseph Daul, ein sprachgewandter Elsässer.
Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten & Demokraten - Progressive Alliance of Socialists and Democrats (S&D)
Die zweitstärkste Fraktion vereint 196 Mitglieder aus sozialistischen, sozialdemokratischen und Arbeiter-Parteien. 23 SPD-Politiker sind dabei, stark vertreten sind auch die Demokratische Partei aus Italien und die Sozialistische Arbeiterpartei aus Spanien. Martin Schulz ist S&D-Spitzenkandidat (Lesen Sie hier ein Porträt über Martin Schulz), der Österreicher Hannes Swoboda Chef der Fraktion - er geht aber nach der Wahl.
Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa - Alliance of Liberals and Democrats for Europe (ALDE)
In dem Sammelbecken aus 83 Abgeordneten finden sich wirtschaftsliberale wie sozialliberale Strömungen. Die deutsche FDP besetzt ebenso wie die britischen Liberaldemokraten mit jeweils zwölf Mandaten die meisten Sitze. Der belgische Ex-Ministerpräsident Guy Verhofstadt ist Fraktionschef und Spitzenkandidat im Wahlkampf. Auch wenn er angesichts der Spitzenkandidaturen von Konservativen und Sozialdemokraten chancenlos ist, nimmt er den Wahlkampf sehr ernst. Seine Führungsqualitäten hat der 61-Jährige Jurist mehr oder weniger gut von 1999 bis 2008 als Ministerpräsident seines Heimatlandes gezeigt.
Europäische Konservative und Reformisten (EKR) - European Conservatives and Reformists (ECR)
Ebenso stark wie die Grünen ist die Fraktion der Reformisten, die sich 2009 nach der Wahl formierte. Der britische Premierminister David Cameron kam damals als Oppositionsführer mit seinen Tories aus der EVP dazu. Auch liberal-konservative Tschechen und die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit sind in der EKR - aber keine Vertreter aus Deutschland. Die Fraktion stellt sich gegen mehr Kompetenzen für Brüssel.
Europa der Freiheit und der Demokratie (EFD) - Europe of Freedom and Democracy (EFD)
Die 2009 gegründete Fraktion ist ein Sammelbecken aus EU-Gegnern, Nationalkonservativen und Rechtspopulisten vor allem der britischen United Kingdom Independence Party (UKIP) und der italienischen Lega Nord. Die 31 Abgeordneten werden angeführt von Nigel Farage (UKIP) und Francesco Speroni (Lega Nord) und sind im Parlament weitgehend isoliert. Deutsche sind nicht dabei.
Fraktionslos - Non-Inscrits (NI)
Unter den 33 Fraktionslosen sind beispielsweise Jean-Marie Le Pen und seine Tochter Marine von der rechtsextremen Front National (FN) aus Frankreich. Der Aufschwung euroskeptischer Gruppierungen könnte nach der Europawahl zu einer neuen Fraktion am rechten Rand führen.
Die Europawahl im Netz
Offizielle Webseite des Europäischen Parlaments zu den Europawahlen 2014. Blog zur Europawahl 2014. Die Wahlergebnisse finden sie hier. Hier finden Sie ein übersichtliches »ABC der EU-Institutionen«. Alle Informationen (Aufbau und Arbeitsweise, Befugnisse und Verfahren) zum Europäischen Parlament finden Sie hier. Prognose der Sitzverteilung im EU-Parlament 2014. Alle Infos zur Europawahl in Deutschland am 25. Mai. Die Europawahl in den sozialen Netzwerken auf Twitter, Facebook, Flickr, Linkedin und Youtube. Das offizielle Hashtag für alle Netzwerke lautet: #ep2014, außerdem gibt es noch das Hashtag #europawahl.
Zum Weiterlesen
- Weniger Sitze, mehr Kompetenzen: Nicht nur die Zusammensetzung des nächsten Europäischen Parlaments wird eine neue sein - hier
- Zehn Jahre der Ungleichzeitigkeiten: Dominic Heilig über die Europäische Linke als Sammlungsbewegung sozialer Proteste und progressiver Parteien - hier
- SPD denken Europa neu: Bernd Zeller über die Unbegreiflichkeit und Faszination der Europäischen Union - hier
- Schiebt den aktuellen Schutt mal weg!: Wolfgang Storz über die wirklich wichtigen politischen Fragen und den Sinn der Europawahl - hier
- Linken-Frontmann Tsipras: Europa muss nach links abbiegen - hier
- Europa ist politischer geworden: Gespräch mit Herrmann Schmitt - hier
- Der Unverdächtige: Porträt von SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz - hier
- Die EU ist keine Scheindemokratie: Gespräch mit Sven Giegold - hier
- Auf der Suche nach Schnittmengen: Gespräch mit Sylvia-Yvonne Kaufmann - hier
- Vom Protesthelden zum linken Realpolitiker: Porträt von Alexist Tsipras - hier
Agenturen/nd
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