Hitzkopf kam wieder durch

Zinedine Zidane trotz Tätlichkeit im Finale zum besten Spieler der WM gewählt

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
An spielerischer Klasse fehlte es bei dieser Weltmeisterschaft. Taktik und Teamgeist wurden größer geschrieben. So verwundert es kaum, dass mit Zinedine Zidane ein Vertreter jener rar gewordenen Individualisten zum besten Spieler der WM gewählt wurde, die den Ball noch in die gewollte Richtung streicheln können. Die Ehrung hat nur einen kleinen Haken. Der Franzose rastete im Endspiel gegen die »Squadra Azzurra« förmlich aus. Mit einem brutalen Kopfstoß auf die Brust des Italieners Marco Materazzi in der 110. Minute schmälerte Zidane nicht nur die Siegeschancen seiner gerade feldüberlegenen Mannschaft. Der 34-Jährige zeigte ausgerechnet in seinem letzten offiziellen Match und vor einem Millionenpublikum mal wieder seine schlechteste Seite. Die Siegerehrung fand ohne Zidane stand. Er soll in den Katakomben sehr traurig gewesen sein, heißt es. Vermutlich wird dem zuletzt bei Real Madrid unter Vertrag stehenden Mittelfeldspieler die ungeheure Tragweite seiner Tätlichkeit schon bewusst geworden sein, als er wenige Meter am WM-Pokal vorbei in die Kabine schlich. Genie und Wahnsinn liegen auch bei Zidane dicht beieinander, der in seiner bespiellosen Karriere zwölf Mal vorzeitig vom Platz musste. Kopfstöße, Rückhandschläge, Nachtretereien: Zidane zog im letzten Jahrzehnt alle Register der Kicker-Rüpel-Kartei. Normalerweise ist er als Vorbild schon länger nicht mehr tragbar. Frankreich, die »Grande Nation«, hätte mit einer 0:5-Niederlage im Endspiel gegen Italien wohl besser leben können, als mit dem skandalösen Abgang ihres Idols »Zizou«. Alle Welt fragt sich nun, mit welchen Äußerungen Materazzi den dreifachen Weltfußballer Zidane zu so einem Blackout getrieben hat. In Italien, wo Schwitz- und Hitzkopf Zidane einige Jahre bei Juventus Turin verbracht hat, weiß man sicher wie man den in den Gassen von Marseille groß gewordenen Straßenfußballer provozieren kann. Frankreichs Trainer Raymond Domenech wollte jedenfalls anstelle von Andrea Pirlo lieber Marco Materazzi zum »Spieler des Spiels« gewählt haben wissen: »Materazzi hat den Ausgleich geschossen und organisiert, dass Zidane vom Platz gestellt wird.« Weltweit hat der unvorteilhafte Abschied Zidanes Betroffenheit hervorgerufen. Das Mitleid mit dem Genie ist größer als die Verachtung seiner Tat. Italiens Trainer Marcello Lippi meinte, dass der Weltmeister von 1998 mit dieser Schande nicht abtreten dürfe. Die akkreditieren Journalisten, die Zidane gewählt hatten, sind wohl von dem Vorwurf der Subjektivität freizusprechen. Die meisten hatte...

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