Das deutsche »Mutti«-Gefühl
Deutsche TV-Serien
Die öffentlich-rechtlichen Sender haben die attraktiven Sendeplätze mit wohlig-belanglosen Krimi-Serien zugepflastert. Das Genre prägt mittlerweile auch den Hauptsendeplatz am Montagabend im ZDF. Ein beliebtes Format wird durch Überproduktion tot geritten. Die Drehbücher für deutsche Vorabend-Serien könnten bald Computer schreiben, so gleichförmig seien Dramaturgie und Spannungsbogen, so austauschbar Figuren und Dialoge, denkt selbst Bernhard Gleim, im NDR für die Produktion dieser Formate verantwortlich.
Die Entwicklung spiegelt die Ratlosigkeit der Verantwortlichen wieder. Die fiktionale Fernsehproduktion, einst Exportschlager, dümpelt vor sich hin. Schweden, Dänemark, Großbritannien und die USA reüssieren mit innovativen Serien. Die Ursachen für das Zurückbleiben der Deutschen liegen in der Art der Produktion und ihrer inhaltlichen Ausrichtung. In Deutschland bestimmen traditionell die Sender und selten die Kreativen, was der Zuschauer sieht. Beide Seiten haben sich in diesem System eingerichtet, das nach internationalem Standard vom Kopf auf die Füße gestellt werden müsste. In Dänemark einigen sich Produzenten und Sender auf Budget, Inhalt und Längen. Der Produzent trägt die Verantwortung. Der Autor hat eine starke Stellung. Er ist am Set und im Schnitt dabei, damit seine Vision nicht verwässert wird. Der Sender sieht die Filme erst zur Abnahme.
Besetzt werden bekannte Namen. Dieser Trend ist auch bei der britischen Serie »Downton Abbey« mit Maggie Smith oder in den USA zu beobachten, wo Hollywood-Stars wie Kiefer Sutherland, James Gandolfini oder Claire Danes mit Serien-Rollen den TV-Bildschirm eroberten.
Die Geschichten, die dabei erzählt werden, sind alles andere als trivial. Mit Thriller-Elementen blicken »24« oder »Homeland« hinter die Kulissen der Geheimdienste. Die Macher der dänischen Serie »Borgen« bieten einen exklusiven Blick durchs Schlüsselloch auf den Spagat zwischen Beruf und Privatleben einer Politikerin. Die Briten machen mit einer großen, dramatischen Familiengeschichte die Ereignisse des 1. Weltkriegs in »Downton Abbey« lebendig. Auch hier fehlt ein adäquates einheimisches Angebot. Mit Ausnahme von Dominik Grafs Eintauchen in die Welt der russischen Mafia in der Serie »Im Banne des Verbrechens«, »Weißensee« bzw. der beiden Krimiformate »Tatort« und »Polizeiruf 110« meiden deutsche Serien politische oder gesellschaftliche Themen. Ansonsten gilt: weil jede Geschichte garantiert ein Happy End findet, kann sich der Zuschauer wohlig einkuscheln mit dem Gefühl, alles wird gut. Du bist in guten Händen, denn die Verantwortlichen wissen, was sie tun.
Die seichte deutsche Krimiserie lullt ein und spiegelt so das Mutti-Gefühl wieder. In einem Land, das von »Mutti« Merkel regiert wird, ist das auch kein Wunder.
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