Konvent für die Zukunft Europas
Deutscher Gewerkschaftsbund fordert Neubestimmung innerhalb der Europäischen Union
Einen gemeinsamen »Plan für ein demokratisches Europa« haben der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, der Volkswirtschaftsprofessor Lars Feld, der frühere österreichische EU-Agrarkommissar Franz Fischler und Gerald Häfner, Grünen-Abgeordneter im EU-Parlament und Sprecher der Kampagne »DemocraticEuropeNow«, am Dienstag in Berlin vorgelegt. Angesichts der EU-Verdrossenheit in großen Teilen der Bevölkerung und des Vormarschs EU-kritischer bis -feindlicher Parteien sei es allerhöchste Zeit, die Union und ihre Institutionen umfassend zu demokratisieren und dafür eine breite gesellschaftliche Diskussion zu initiieren, so Häfner. Daher wolle man einen neuen europäischen Konvent einberufen. Dies wäre laut geltendem EU-Recht die einzige Möglichkeit, substanzielle Reformen der EU-Verträge einzuleiten. Dem Konvent würden Vertreter des EU- und der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs und der EU-Kommission angehören. 2003 hatte ein derartiger Konvent den Vertrag über eine europäische Verfassung entworfen, der dann 2005 bei Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt wurde.
Hoffmann, der vor seiner Wahl zum DGB-Vorsitzenden lange beim Europäischen Gewerkschaftsbund gearbeitet hatte, warnte vor einem zunehmenden Legitimationsverlust der europäischen Institutionen. Viele Menschen hätten die »Hinterzimmer-Politik« in Brüssel und Straßburg satt. Es sei ein Alarmzeichen, wenn es in Ländern wie Großbritannien Ernst zu nehmende Bestrebungen gebe, die Union zu verlassen.
Für Hoffmann müsste bei einem künftigen Konvent neben demokratischen Reformen der Institutionen und der Stärkung der Rolle des Parlaments vor allem die Verankerung von Leitlinien für ein soziales Europa im Mittelpunkt stehen. Grundpfeiler wie Gewerkschaftsfreiheit und Tarifautonomie müssten unantastbare Bestandteile des EU-Rechts werden. Der DGB-Vorsitzende verwies in diesem Zusammenhang auf die Spardiktate der EU-Kommission und des Europäischen Rates für die Euro-Krisenländer. Diese seien zu staatlich verordneten Lohnsenkungen faktisch gezwungen worden. Dies dürfe sich nicht wiederholen.
Der frühere EU-Kommissar Fischler wollte sich nicht auf Inhalte eines Konvents festlegen. Die Diskussionen über die Zukunft der EU müssten ergebnisoffen geführt werden. Dabei müsse vor allem das Verhältnis zwischen europäischer Harmonisierung sowie nationaler und regionaler Autonomie neu justiert werden.
Lars Feld, der im Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (»Wirtschaftsweisen«) für Staatsfinanzen zuständig ist, sprach von einem »optimalen Zeitpunkt« für die Vorbereitung eines Konvents. So gebe es »zunehmend belastbare Indizien« für eine wirtschaftliche Erholung der Euro-Krisenländer. Ein auf Dialog mit allen EU-Bürgern ausgerichteter Konvent könne zu einem Aufbruchsignal für Europa werden. Nur so könne man »Rechts- und Linkspopulisten« das Wasser abgraben. Unverzichtbar sei ferner, dass die Ergebnisse des Konvents in der gesamten EU Gegenstand von Volksabstimmungen werden
Häfner stellte klar, dass ein EU-Konvent kein Selbstläufer, sondern eine »Machtfrage« sei. Kommission und Europäischer Rat hätten in der Regel wenig Interesse an derartigen Institutionen. Das Parlament müsse sich in dieser Frage durchsetzen. Mit einer offiziellen Initiative für die Einberufung eines Konvents wird frühestens im kommen Jahr gerechnet. Das letzte Wort haben allerdings die Staats- und Regierungschefs der EU.
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