Der stabile Dax, der das instabile Europa gut verträgt
Zuletzt war das nach der Bundestagswahl so. Damals ging der Dax mit einem Minus aus dem Handel. »Die offene Ausgestaltung der künftigen Bundesregierung verunsichere die Wähler«, schrieb die »Frankfurter Allgemeine« einen Tag nach der Wahl. Oder anders gesagt: Die strukturelle linke Mehrheit, die in jenen Tagen das Land beschäftigte, bereitete den Märkten tiefe Sorge.
Die mögliche rot-rot-grüne Mehrheit verursachte eine kleine Panik. Auch Immobilienwerte verloren damals. Und Händler bestätigten, dass gegen die befürchtete Mietpreisbremse eine Bekräftigung der schwarz-gelben Regierung nötig gewesen wäre. Die potenziell linke Mehrheit hat jedoch alles zunichte gemacht und mittels Mietpreisbremse Profiteinbußen angedeutet. Überraschend war das damals übrigens nicht. Schon Tage vor der Wahl gab es Berichte, die ein solches Szenario in Aussicht stellten. »Börsianer warnen vor Rot-Rot-Grün«, konnte man in mehreren Tageszeitungen lesen.
Am Sonntag gewannen fast überall in Europa rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien Zuspruch. Sie werden weitaus stärker im Europäischen Parlament vertreten sein als bisher. Und die Börse? Die wiegt sich in Zufriedenheit. Keine Ausreißer. Der Dax hat sogar zugelegt. Allzeithoch. Mal wieder. Alles im Lot. Man atmet durch. Und wir Bürger sollten es gewissermaßen auch tun, liest man aus den Berichten heraus. Denn wenn es den Märkten gutgeht, geht es uns allen gut. Alte Weisheit, die auch für Hartz-IV-Empfänger und Obdachlose gilt.
Anders gesagt: Die Märkte haben überhaupt kein Problem mit Islamophobie und Rassismus, mitChauvinismus und Nationalismus. Ein politischer Rechtsruck geht in Ordnung. Er geht den Märkten sichtlich am Arsch vorbei. Roma und Moslems müssen sich in einem rechten Klima fürchten. Aber doch nicht die Börse! Der Kontinent hat mit dieser Wahl am letzten Sonntag bewiesen, dass er zerrissen, dass er instabil geworden ist – aber die Börsenwerte bleiben stabil. Bei einem rechten Übergewicht, kann man auch die kleinen linken Zuwächse verkraften. »Balance of Power«, oder wie nennt man das?
Nur potenzieller Linksruck bringt die Börsenwelt durcheinander. Umverteilung und Partizipation, die Stärkung des Sozialstaats- und Rechtsstaatsmodells, die Regulierung der Wirtschafts- und Finanzprozesse: Da schaudert es den Märkten. Da brechen sie ein, werden ganz wuschig, haben Angst, dass die Party nun endgültig vorbei ist. Ist ja auch doof, dass Linke die Welt nicht in Weiße und Schwarze, in Deutsche und Ausländer einteilen, sondern in Arme und Reiche – diese Unterscheidung ist für die Märkte untragbar, ganz einfach, weil sie den wesentlichen Kern trifft. »Divide et impera« ist hingegen Börsen-Balsam, denn es lenkt ab, verschleiert und führt den Bürger vor weitreichenden Erkenntnissen weg.
Welcher Hohn es ist, dass sich die Kanzlerin einst für die »marktkonforme Demokratie« aussprach, sieht man jetzt mal wieder. Wie unmöglich das zusammengeht, lässt sich am Allzeithoch des Dax nach dieser Europawahl erkennen. Hätten wir hingegen einen »demokratiekonformen Markt«, dann hätte dieses Resultat drastische Kursverluste verursachen müssen. Und es wäre sicher nicht das schlechteste Zeichen, wenn Börsen so auf Rechtsrücke reagieren würden.
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