In den Händen der besten Ärzte

Madrid gilt derzeit als Hauptstadt der Doping-Welt, im Stadtteil Chamberi wird gar ein »Dopingdreieck« vermutet

  • Tom Mustroph, Madrid
  • Lesedauer: ca. 6.5 Min.

Madrid ist für den Sport, was Afghanistan oder Kolumbien für den Drogenmarkt sind. Der Staddteil Chamberi in der Mitte der spanischen Hauptstadt gilt als Epizentrum des Doping-Erdbebens, das vor knapp zwei Wochen die Radsportwelt erschütterte.

In der Calle Alonso Cano, in einem unscheinbaren Apartementhaus, fand die spanische Polizei am 23. Mai dieses Jahres Spektakuläres: über 100 Blutbeutel und jede Menge Dopingpräparate, mit denen Radsportler Muskelaufbau betreiben und den Sauerstoffanteil in ihrem Blut künstlich erhöhen, um ihre Ausdauer zu verbessern. Das Apartement soll von Eufemiano Fuentes benutzt worden sein, dem langjährigen Mannschaftsarzt von Manolo Saiz, Chef der Profiteams Once und Liberty Seguros.
Nicht weit entfernt davon praktiziert auch Dr. Peraita. Auf ihn weist kein Schild hin. An der Wohnungstür im dritten Stock steht Dyn@med. Normaler Publikumsverkehr, vor allem junge Frauen sitzen im Wartezimmer. Peraita sagt, dass seine Klientel weit gefächert sei. Die Leute kämen, um überflüssige Pfunde loszuwerden, sich gegen Verdauungsstörungen behandeln zu lassen und Alterungsprozesse aufzuhalten. »Ich betreibe viel Naturmedizin und Homöopathie«, meint er freundlich. Das Geschäft läuft.
Einst war Peraita auch unter Sportlern eine Berühmtheit. »Früher, vor 20 Jahren, war ich eine Legende in den Gyms. Ich habe Kraftsportler beraten, wie sie ihre Muskeln aufbauen können. Aber das ist lange vorbei«, blickt er zurück. Manche kämen zwar immer noch zu ihm, aber er rate ihnen dann zu natürlichen Präparaten. »Auch damit kann man gute Leistungen erzielen«, stellt er fest. Gute oder exzellente? »Nur gute. Für den Hochleistungssport reicht es nicht. Aus diesem Bereich habe ich mich zurückgezogen«, sagt er mit gewinnendem Lächeln. »Es bringt zu viele Fragen mit sich.« Er wolle sein Leben genießen. »Ich arbeite dreieinhalb Tage die Woche und möchte viel mit meiner Familie zusammen sein.«
Diese Haltung ist in Madrid-Chamberi nicht allen Medizinern eigen. Die Staatsanwälte vermuten hier ein rechtes Dopingdreieck. Die in Fuentes Apartement konfiszierten Blutbeutel stammen nach Ansicht der Ermittler aus der Analyse-Klinik des Hämatologen Luis Merino. Auch die liegt nur zwei Querstraßen entfernt. Dritter Eckpunkt des Dopingdreiecks ist das Hotel »Puerto«, ganz in der Nähe. Dort war am gleichen Tag Manolo Saiz mit einem Koffer voller Geld erwischt worden; offenbar für den Kauf von Dopingsubstanzen bestimmt. Saiz gilt zusammen mit Fuentes und Merino als Strippenzieher eines weiten Doping-Geflechts, in dem sich offensichtlich viele spanische Radprofis sowie einige internationale Größen dieses Sports verfangen haben.

Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Der Hämatologe Merino ist derzeit nicht in seiner Klinik anzutreffen. Die Schwester am Aufnahmetresen bedauert, dass der Doktor nicht da ist. »Aber wollen Sie Ihr Blut analysieren lassen?« Nein, danke, sehr nett. Die Guardia Civil ermittelt bereits seit 2003 nach dem Kelme-Skandal gegen Merino und Fuentes. Nach weiteren Hinweisen im Februar 2006 verstärkte sie die Beobachtung, was letztendlich zu den Festnahmen führte.
Auch an die Favoriten der diesjährigen Tour de France, Jan Ullrich und Ivan Basso, sollen nach den Interpretationen der Guardia Civil Dopingmittel und Bluttransfusionen geliefert worden sein - genau in der Zeit, in der Ullrich durch die »beste Vorbereitung seit Jahren« große Hoffnungen weckte. Die spanische Zeitung El Pais veröffentlichte diese Informationen - die Superstars Ullrich und Basso wurden danach von ihren Teams suspendiert und von der Tour de France ausgeschlossen.
Der Spiegel will nun herausgefunden haben, dass auch der Natur-Mediziner Peraita noch ab und an über künstliche Leistungssteigerungen nachdenkt. Ihm wird dopingtechnische Beratung des deutschen Leichtathletiktrainers Thomas Springstein (er betreute Katrin Krabbe und weiterhin Grit Breuer) vorgeworfen. Pereita gibt zu, den umstrittenen Trainer zu kennen. »Springstein kontaktiert mich in unregelmäßigen Abständen, seit fünf, sechs Jahren vielleicht. Anfangs hat er sich nur über Ernährung erkundigt.« Später habe sich der Diskurs dann weiterentwickelt, eher ohne sein Wollen, gibt Peraita zu verstehen. »Oft sind die Athleten besser als wir Ärzte darüber informiert, was es alles an unterstützenden Mitteln und Methoden gibt«, meint er abschließend und erweckt voll und ganz den Eindruck, als sei seine Kompetenz - wenn überhaupt - nur benutzt worden. Peraita möchte, dass seine Patienten Vertrauen zu ihm haben. Es sei nicht gut, wenn sein Name im Zusammenhang mit Doping auftauche.
Peraita ist ein Arzt, in dessen Hände man sich gern begibt. Merino sicherlich auch. Und wenn T-Mobile-Teamarzt Lothar Heinrich einem sagt, er habe nie einen Hinweis auf Doping in seiner Mannschaft bemerkt und sei selbst erschüttert, nimmt man das dem jugendlich wirkenden Freiburger Mediziner umgehend ab.
Der Verfasser hat auch Ullrich und Basso Glauben schenken wollen, als sie ihm beim Giro dItalia offen in die Augen blickten und verkündeten, sie hätten »nichts mit Fuentes« zu tun. Weiß Basso nichts von seinem Codenamen »Birillo«, Ullrich nichts von »Hijo Rudicio«? Ist Peraita gar nicht jener »Top Doc« (als solcher firmiert er angeblich im Mailverkehr mit Springstein)? Hat der Radsport, der Leistungssport allgemein ein Dr. Jekyll- und Mr. Hyde-Gesicht? Dr. Jekyll für die Kameras, die Presse, die Fans - und nur nachts in Hotelzimmern, in Kliniken nach der Öffnungszeit taucht die Fratze des Mr. Hyde auf? Nur die Beteiligten selbst wissen darum.

»Schuldgefühl ist da«
Philippe Gaumont, Bronzemedaillengewinner bei den Olympischen Spielen und zehn Jahre lang Radprofi, hat im letzten Jahr ein umfassendes Geständnis veröffentlicht. Er schildert, wie es ist, wenn man sich allein im Hotelzimmer eine Spritze setzt. »Das Schuldgefühl ist da. Man kann sich schön verstecken, der Realität entfliehen, doch man spürt das Gewicht des Betrugs jedes Mal, wenn man sich in die Adern sticht, allein, auf dem Bett. Man empfindet nicht so sehr den Betrug an den anderen, weil - so habe ich es seit meinem Profidebut mitbekommen - das so gut wie alle praktizieren. Aber es ist ein Betrug an sich selbst. Man versucht sich zu sagen, dass es nicht die Produkte sind, die einen schnell machen, dass man ja über besondere physische Fähigkeiten verfügt, aber der Zweifel ist da. Man weiß einfach nicht, wozu man selbst in der Lage ist, weil die Bereiche, die man erreicht, nicht mehr die eigenen sind.«
Sportbetrug ist vor allem eine moralische Kategorie. Juristisch ist er schwer zu fassen. »Ich habe die Verteidigung von Eufemiano Fuentes übernommen, weil es gar kein Delikt gibt, dessen er beschuldigt werden könnte«, meint Julian Perez Templado y Templado. Der Anwalt hat Fuentes gegen Kaution aus dem Knast geholt. Im Zimmer eines Kanzlei-Kollegen, in dem ein Zeitfahrrad des 1988er Tour de France-Siegers Pedro Delgado steht, meint er: »Ich sehe den Vorwurf einer Schädigung der öffentlichen Gesundheit nicht. Kein Radsportler hat bisher erklärt, Dr. Fuentes hätte ihn verletzt.« Angeklagt werden könnten nach der gegenwärtigen Gesetzeslage in Spanien die verdächtigten Sportler ohnehin nicht. Ein Anti-Dopinggesetz wird Spanien vermutlich erst im Herbst haben.
Momentan scheint sich auch Untersuchungsrichter Antonio Serrano-Arnal noch nicht sicher zu sein, ob es für eine Anklage reichen wird. Er hat bislang keinen einzelnen Fahrer vernommen. Nur den ehemaligen Teamchef Manolo Saiz hat er bislang verhört. Die Medinziner Fuentes und Merino müssen sich für den 20. Juli bereithalten.

Gleiche Chancen?
Elisa Beni Uxabal, Sprecherin des Obersten Gerichtshofes in Madrid, sieht für die Anklage folgende Strategie: »Man muss versuchen nachzuweisen, dass die Rücktransfusion von Eigenblut schädlich ist. Das wird schwierig, denn Blut ist eine natürliche Substanz.« Die spanische Justiz könnte auch auf den Erfahrungen der italienischen Kollegen aufbauen. Die hatten im Verlauf des Fußballdoping-Skandals eine Studie zu den Folgeschäden erstellt. Dabei kam heraus, dass ehemalige Fußballprofis häufiger als der Durchschnitt an Leukämie, Leberkrebs und der Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) erkranken.
Festzuhalten bleibt, dass dem Sportbetrug vor Gericht schwer beizukommen ist. Wer will in einer Sportart, in der man von »Chancengleichheit« spricht, weil alle dopen, noch von »Betrug« durch Doping reden? Der Ausschluss von Basso und Ullrich und das nun folgende Interesse für die Dopingpraktiken wurde gewissermaßen Ressort übergreifend und oft im Überschreiten der eigenen Kompetenzen ausgelöst. Die Justiz hat nach Anfangsverdacht die bürgerlichen Freiheiten einiger Personen massiv eingeschränkt (Telefonüberwachung, Kameras, Beschattung). Die Presse hat Untersuchungsmaterial gegen den Willen der Justiz veröffentlicht und so Druck auf Sponsoren und Organisatoren ausgelöst. Die Sponsoren schließlich haben wegen Vertrauensmissbrauch und Lüge - nichts anderes ist Ullrich, Pevenage & Co. bislang begründet vorzuwerfen - die Reißleine gezogen.
Rechtsstaatlich ist dieses Vorgehen fraglich. Doch wer den Sport vom Doping befreien will, muss offensichtlich Grenzen überschreiten. Im Sinne eines gesunden Radsports müssten jetzt Athleten und Betreuer dazu gezwungen werden, über ihre Praktiken auszusagen. Vielleicht sollten sie fortan Belege erbringen müssen, dafür dass die Leistung konventionell gesteigert wurde. Eine Ethik-Charta allein reicht nicht. Nach dem Festina-Skandal 1999 hat jedes Team eine Ehren-Erklärung gegen Doping unterschreiben müssen. Sie ist, das legen die Doping-Ereignisse der letzten Jah...

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