Die Köpfe hinter den Anti-Heim-Initiativen

120 Adlershofer begrüßten 200 Flüchtlinge in ihrer neuen Unterkunft- doch auch Nazis waren gekommen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Viele Adlershofer schüttelten über die Rede des NPD-Landeschefs und die Parolen seiner Mannen nur den Kopf. »Spinner« seien das. Das zeigt: Die Nazimasche, Ängste der Bürger aufzunehmen, greift nicht immer.

Der Einzug der gut 200 Flüchtlinge in ein neues Asylbewerberheim in Adlershof wurde am Mittwochabend nicht nur von einer Solidaritätskundgebung von rund 120 Adlershofer Bürgern begleitet. Zeitgleich protestierten auch 20 Nazis gegen die neuen Nachbarn. »Nein zum Heim - wir stellen uns quer« stand auf ihrem Transparent. Zudem schwenkten stadtbekannte Nazis, die bereits in Hellersdorf gegen das Asylheim demonstriert hatten, Deutschland- und Berliner Fahnen. Auf die NPD-Fahne haben sie verzichtet. Das sollte ihnen wohl den Anstrich einer überparteilichen Bürgerinitiative geben. »Nein-Zum-Heim-Initiativen«, die in Treptow-Köpenick, Hellersdorf, Lichtenberg, Pankow und Neukölln existieren, geben sich gern den Anschein von Unparteilichkeit. Die Masche ist immer dieselbe: Die Akteure bleiben anonym und tun so, als würden sie Sorgen und Ängste von Anwohnern aufgreifen. Allerdings wird auf den entsprechenden Seiten unverhohlen Nazipropaganda betrieben. Der neueste Kniff in Hellersdorf ist es beispielsweise, der »deutschen Opfer« von Kriminalität durch Ausländer zu gedenken. Dazu werden unseriöse Statisten angeführt und sowohl virtuell als auch real in Hellersdorf Holzkreuze zum Gedenken aufgestellt.

Anmelder und Redner der angeblich von besorgten Bürgern abgehaltenen Kundgebung in Adlershof am Mittwoch war niemand anderes als NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke. Der vorbestrafte Nazifunktionär hantierte mit Zahlen, Fakten und Gerichtsurteilen, verdrehte aber die Wahrheit. So behauptete er beispielsweise, im vergangenen Jahr sei in ein Reinickendorfer Asylheim »eine seit 200 Jahren in Deutschland ausgestorbene Krankheit wieder eingeschleppt« worden: »die Pocken«. Richtig ist, dass es dort Fälle von Windpocken gegeben hat. Daran erkrankt bekanntlich auch in Deutschland fast jedes Kind. Auch seine Behauptung, in der Nähe von Asylbewerberheimen würde die Kriminalität ansteigen, ist durch die Polizeistatistik mehrfach widerlegt. Schmidtkes ins Mikro gebrüllte Behauptung, Deutsche seien Bürger zweiter Klasse im eigenen Land begründete er mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Demnach würden Asylbewerbern angeblich dieselben Sozialleistungen zustehen wie Deutschen. Richtig ist, dass die Verfassungsrichter die Praxis beendeten, nicht arbeitsberechtigten Asylsuchenden lediglich rund 60 Prozent des Hartz IV-Satzes zuzugestehen. Stattdessen bekommen sie bis zu einer gesetzlichen Neuregelung rund 90 Prozent. Viele Adlershofer schüttelten über die Nazipropaganda nur den Kopf. Als »Spinner« bezeichneten zahlreiche Passanten auf dem Bahnsteig, wo man jedes Wort hörte, die Demonstranten.

Eine Studie der Antifa vom März hat aufgedeckt, wer hinter der angeblich so überparteilichen Hellersdorfer Bürgerbewegung steckt: Sie nennen mit Namen und Foto Männer und Frauen, die oft schon in den 1990er Jahren in rechten Kameradschaften aktiv waren. Einige von ihnen hatten sich zwischenzeitig aus familiären Gründen oder wegen Verurteilungen aus der Politik zurückgezogen. Andere Leute werden dem Netzwerk »nw-Berlin« zugeordnet, gegen das die Staatsanwalt ermittelt. Auch ein Mitglied der Partei »Die Rechte« und ein Mann, der sich einmal vergebens um ein NPD-Mandat bewarb, wird in der Studie der Bürgerbewegung zugeordnet. Die Antifa hat auf Aufmärschen der Bürgerbewegung sowie im Internet recherchiert. Anmerken muss man jedoch, dass sich ein Teil der Rechercheergebnisse der Nachprüfbarkeit entzieht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.