Mehr Bürger, weniger Verwaltung

Bürgermeister Andreas Geisel (SPD) fordert ein Moratorium für den geplanten Stellenabbau

  • Nicolas Sustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Berlin wächst - das gilt insbesondere für den Bezirk Lichtenberg. Die Konsequenz: Die Bürger spüren den Personalmangel in der Bezirksverwaltung.

Es ist eine Mischung aus Entnervtheit und Verzweiflung, in der die Lichtenberger Bezirksstadträte und ihr Bürgermeister an diesem Dienstag gemeinsam vor die Presse treten. »Es ist nicht wirklich neu, dass der Stellenabbau uns umtreibt«, leitet Bürgermeister Andreas Geisel (SPD) ein. 100 000 Mitarbeiter in der Berliner Verwaltung, davon 20 000 in den Bezirken - das war das vor vielen Jahren ausgegebene und auch schon erreichte Ziel. Doch das war zu einer Zeit, als davon ausgegangen wurde, dass Berlins Bevölkerung gar nicht oder nur minimal wächst.

»Allein 2013 war der Zuwachs doppelt so hoch als im Demografiebericht erwartet«, sagt Geisel. Für Lichtenberg gelte dies ganz besonders, allein die Geburtenrate habe sich zwischen 2010 und 2013 verdreifacht. Seien es die Wartezeiten beim Bürgeramt, der Zustand von Grünanlagen und Spielplätzen oder auch die Proteste von Jugendamtsmitarbeitern - die Bürger spüren die Personalnot seit Jahren. Und obwohl sowohl die Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus als auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bekannten, dass das Ziel angesichts der Entwicklung nicht zu halten sei, werde nichts unternommen, daran etwas zu ändern. »Lassen Sie den wohlfeilen Worten Taten folgen«, fleht Geisel förmlich.

Lehrer nicht mitgerechnet beschäftigt der Bezirk rund 2300 Mitarbeiter auf zusammengerechnet 1799 Vollzeitstellen. Noch mal 274 Vollzeitstellen sollen nach dem Schlüssel des Finanzsenators bis Ende 2016 abgebaut werden. »Wir brauchen dringend ein Moratorium«, sagt Geisel. Einfach, um darüber zu sprechen, wo wie viele neue Mitarbeiter gebraucht würden. Es müsste allerdings auch »finanziell untersetzt« sein. Denn obwohl zum Beispiel Neukölln und Tempelhof-Schöneberg formal kein Personal mehr abbauen müssten, bekommen sie nicht ausreichend Mittel zugewiesen, bauten also gezwungenermaßen weiter Stellen ab. »Wir haben uns schweren Herzens entschieden, das Grünflächenamt zum Hauptbringer des Stellenabbaus zu machen«, sagt Baustadtrat Wilfried Nünthel (CDU). Auch die Ausschreibung von Leistungen sei keine Lösung. »Die Arbeit wird nicht besser gemacht, kostet aber mehr.« Neukölln habe diese Erfahrung schon gemacht. »Wenn die Bezirke ordentlich ausgestattet sind, brauche ich keine Sonderprogramme, da kann man sich ehrlich machen.«

»Wir bräuchten bis 2022 rund 67 neue Stellen, um das aktuelle Level zu halten«, berichtet Bildungsstadträtin Kerstin Beurich (SPD). Noch dramatischer sei die Situation an den Schulen, die Schülerzahlen werden in acht Jahren 40 Prozent höher liegen. Allein bis 2018 kämen zwölf neue Schulen hinzu. »Das sind alleine zwölf neue Hausmeister«, sagt Beurich.

Auf 29 mehr benötigte Stellen kommt Andreas Prüfer (LINKE). Er ist unter anderem für Bürgerdienste und Immobilien zuständig. Bauleiter, Hausmeister, Ordnungs- und Wohnungsamtsmitarbeiter fehlen ihm zufolge unter anderem. »Dienstgebäude ohne eigenen Hausmeister zu betreiben ist teuer und unsinnig. Ohne leistungsfähiges Baumanagement ist allein das anspruchsvolle Schulbauprogramm nicht zu realisieren«, nennt er einige Beispiele.

»Personalabbau ohne Aufgabenreduzierung bedeutet Arbeitsverdichtung«, sagt Andreas Geisel. Sicher eine Ursache des hohen Krankenstandes von 9,8 Prozent. Um die Handlungsfähigkeit zu erhalten, müsse man an allen Ecken und Enden beim Senat Ausnahmen beantragen. Das könne nicht die Lösung sein. »Es ist notwendig, Berlin auch mal zu regieren«, appelliert Geisel an den Senat. Für den Sommer kündigt er eine gemeinsame Initiative aller Bezirke an.

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