Deutsche Leichtathleten über Ulm nach Göteborg

Bei den deutschen Meisterschaften letzte EM-Qualifikationschance

»Viele werden zeigen, was sie wirklich können«, hofft Jürgen Mallow, Leitender Bundestrainer im Deutschen Leichtathletik-Verband, mit Blick auf die deutschen Meisterschaften an diesem Wochenende im Ulmer Donaustadion. »Ich glaube nicht, dass jetzt noch viele an Malaga denken.« Beim Europacup vor zwei Wochen in Spanien hatten sich die deutschen Teams auf ganzer Linie blamiert: die Frauen als Fünfter, die Männer als Achter und Vorletzter.
Der DLV-Cheftrainer erwartet bei der letzten Chance für die Qualifikation für die EM vom 7. bis 13. August in Göteborg »eine gute Leistungsdarstellung und eine positive Leistungsentwicklung. Wir wollen zeigen, dass wir gut vorbereitet nach Göteborg gehen.«

Täuschende Quote: 66 EM-Normerfüller
Rund 1300 Starter aus über 200 Vereinen kämpfen am Sonnabend und Sonntag um 44 Titel. Bislang haben 66 Athletinnen und Athleten die vom DLV geforderte EM-Norm zumindest einmal erfüllt.
Doch täuscht diese Quote in mehrfacher Hinsicht: Zum einen sind darunter allein 12 Athleten im Stabhochsprung (fünf Männer, sieben Frauen). Doch bekanntlich können pro Einzeldisziplin in Göteborg nur drei starten. Zum anderen werden nach Lage der Dinge zehn Einzeldisziplinen der Männer und neun der Frauen bei den EM unbesetzt bleiben - wenn nicht in Ulm noch ein Wunder geschieht. Doch das ist jeweils über 100 m, 400 m, 1500 m, 400 m Hürden, im Hindernislauf, Hoch-, Weit- und Dreisprung wohl nicht zu erwarten. Bei den Männern kommen nach dem Ausfall von Hallen-Europameister Tobias Unger (Kornwestheim) noch die 200 m und der Marathon sowie bei den Frauen die 5000 m hinzu.
Die Läufer sind nach wie vor die Schwachstelle in der deutschen Leichtathletik. Zwar sind sie bei den Meisterschaftenn in Ulm mit 22 Einzeldiszplinen klar in der Überzahl, doch haben sich bisher gerade mal acht Athleten für die EM empfohlen.
Cheftrainer Jürgen Mallow macht keinen Bogen um diese prekäre Situation: »In vielen Fällen ist das Niveau absolut unbefriedigend. Auch beim Europacup haben sich die vielen schwachen Disziplinen fatal ausgewirkt.« Realistisch betrachtet dürfte das deutsche EM-Aufgebot, das am Montag nominiert wird, vermutlich um die 75 Athleten umfassen. »Wenn sich in Ulm in Sachen EM-Norm nichts weiter bewegen würde, wäre ich enttäuscht«, sagt Mallow.

Hauen und Stechen der Stabartisten
Die enorm hohe Quote an EM-Normerfüllern unter den Stabartisten verdeutlicht wiederum das Hauen und Stechen, das in Ulm zu erwarten sein wird, um in Göteborg dabeizusein. Fünf Männer haben die geforderte EM-Norm von 5,70 m übersprungen. Dass in den letzten fünf Jahren vier verschiedene Springer deutscher Meister wurden, zeigt, wie offen und ausgeglichen auch diesmal die Entscheidung ist.
Tim Lobinger (Köln) - Saisonbester mit 5,90 m - will nach seinem neunten Titel greifen und vermeidet dafür jedes Risiko. So verzichtete er auf einen Start gestern Abend bei der Golden League in Rom. Denn keine 24 Stunden später steht in Ulm der Titelkampf an. Saisonbeste bei den stabhochspringenden Frauen ist Yvonne Buschbaum (Ludwigshafen) mit 4,62 m. Für Buschbaum wie auch für Lobinger aber gilt: In Ulm werden die Karten neu gemischt.
Viel Spannung versprechen die Wettbewerbe der Werfer, wo Rekordmeister Lars Riedel - mit 69,38 m DLV-Saisonbester - seinen elften Titel seit 1993 anpeilt. Der fünffache Weltmeister aus Chemnitz, der am 28. Juni seinen 40. Geburtstag feierte, liegt fast vier Meter vor dem WM-Dritten Michael Möllenbeck (Wattenscheid) mit 65,52 m und der 21-jährigen Nachwuchshoffnung Robert Harting (Berlin) mit 65,22 m. Riedel hatte zuletzt 2003 an gleicher Stelle in Ulm gewonnen, und sein Dauerrivale Möllenbeck - auch schon 36 Jahre alt - will nach 2004 und 2005 den Titel-Hattrick.

»Alten Herren« Feuer unterm Hintern machen
Werfer-Bundestrainer Jürgen Schult, 1988 Olympiasieger und mit 74,08 m seit 1986 noch immer im Besitz des Diskus-Weltrekords, präzisiert seine Meisterschafts-Erwartungen gegenüber ND: »Alle drei können eigentlich unbelastet werfen. Deshalb erwarte ich von ihnen mindestens fünf stabile und auch weite Würfe. Vom Talent Harting, von dem man sich schon im Vorjahr 67 Meter erhofft hatte, wünsche ich mir, dass er den beiden "alten Herren" Riedel und Möllenbeck ein bisschen Feuer unterm Hintern macht.«
Bei den Frauen will sich die zweifache Diskus-Weltmeisterin Franka Dietzsch (Neubrandenburg) die Jagd auf den neunten Titel seit 1997 nicht verderben lassen. Kein Wunder: Die 38-Jährige liegt mit 68,51 m knapp zehn Meter (!) vor der übrigen deutschen Konkurrenz. »Meine Saisonplanung ist voll und ganz auf Göteborg ausgerichtet«, sagte sie gegenüber ND, »daher ist in Ulm natürlich keine Riesenweite zu erwarten. Aber für den neunten Titel wird es reichen.«
Im Kugelstoßen wird einer aus dem deutschen Männer-Quartett zu Hause bleiben müssen, statt in Göteborg zu sein. Der WM-Dritte Ralf Bartels (Neubrandenburg), der Top-Favorit, der in dieser Saison schon auf 21,01 m gekommen war, Peter Sack (Leipzig) mit 20,83 m, Andy Dittmar (Ohra-Hörselgas) mit 20,55 m und Detlef Bock (Wolfsburg) mit 20,46 m haben die EM-Norm (20,20 m) bereits erfüllt. Bei den Frauen trifft das auf die Europacup-Siegerin Petra Lammert (Neubrandenburg) und Nadine Kleinert (Magdeburg) zu, die auch den Meistertitel unter sich ausmachen werden.
Wenn die Speerwurf-Olympiazweite Steffi Nerius (Leverkusen), die durch eine Armverletzung einige Monate nicht im Wettkampf stand, ihren Aufwärtstrend (Saisonbestweite 64,67 m) bestätigen kann, dann ist ein packender Zweikampf mit der WM-Zweiten Christina Obergföll (Offeburg) zu erwarten, die mi...

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