«Schlecht für die Moral des Volkes»

Der Erste Weltkrieg in der französischen und deutschen Kunst« - eine Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum

  • Siegfried Schmidtke
  • Lesedauer: 5 Min.
Zum 100 jährigen Jubiläum befasst sich in einer deutsch-französischen Kooperation das Museum mit der Kunst rund um den ersten Weltkrieg. Neben Künstlern wie Otto Dix sind auch französische Künstler vertreten.

Massive Aufrüstungen, Truppenbewegungen, regionale kriegerische Auseinandersetzungen und eine latente »Es muss mal was passieren«-Stimmung - nein, das ist nicht die Beschreibung der aktuellen politischen Situation, sondern der Zustand in Europa um 1910. Was von 1914 bis 1918 folgte, wird von Historikern als »Urkatastrophe« des Jahrhunderts bezeichnet. In Deutschland gilt der schlicht numerisch benannte »Erste Weltkrieg« für viele als Vorläufer und Ursache des noch schlimmeren Zweiten Weltkrieges. In der Erinnerung der Franzosen, Belgier und Briten dagegen ist der Erste Weltkrieg der »Große Krieg«, der mehr als 20 Millionen Tote forderte.

In Reims, der ersten französischen Großstadt, die 1914 von Deutschen bombardiert wurde, ist die Erinnerung besonders lebendig. Hier wurde die berühmte Kathedrale, Krönungsstätte der französischen Könige, durch deutsche Bombenangriffe schwer beschädigt. Hier ehrten Charles de Gaulle und Konrad Adenauer 1962 gemeinsam die Toten von Verdun. Und hier umarmten sich François Hollande und Angela Merkel 2012 zum Zeichen des Friedens und der Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen. François Mitterand und Helmut Kohl hatten sich schon 1984 in Verdun die Hände geschüttelt.

David Liot, der Direktor des Museums der Schönen Künste in Reims, schlug dem Wuppertaler Von der Heydt-Museum vor, den Ersten Weltkrieg in einem gemeinsamen Ausstellungsprojekt zu bearbeiten. Für Gerhard Finckh, den Museumsdirektor in Wuppertal, ein ausgewiesener Kenner und Liebhaber französischer Impressionisten, kam der Vorschlag wie gerufen. Zusammen entwickelten die Museumsteams in Wuppertal und Reims ein anspruchsvolles künstlerisches Konzept. Nicht Relikte des Krieges wie zum Beispiel Bunkeranlagen, Uniformen, Waffen, Essgeschirr, sollten gezeigt werden, sondern die Wahrnehmung des Krieges und die Verarbeitung der Kriegserlebnisse durch Künstler beider Seiten. Von der Heydt-Direktor Gerhard Finckh: »Uns interessierte die Frage: Wie haben Dichter, Schriftsteller, Maler und Zeichner den Krieg erlebt? Wie konnten sie das Unerhörte, das Nie-Dagewesene in Worte, auf Papier und Leinwand zum Ausdruck bringen?«

Beide Museen stellen jeweils 160 Exponate aus ihren eigenen Beständen für das Ausstellungsprojekt zur Verfügung. Hinzu kommen 30 Leihgaben, sodass der Besucher sich durch 350 Objekte durcharbeiten kann. Zu zahlreichen Bildern werden thematisch ergänzende Textauszüge aus der zeitgenössischen Literatur an die Wand projiziert. Und auch Original-Stummfilmaufnahmen, meist zu Propagandazwecken von den Kriegsparteien produziert, flimmern in einigen Ausstellungsräumen.

Beim Durchforsten der deutschen und französischen Literatur stießen die Ausstellungsmacher auf ein Werk des Pädagogen Wilhelm Lamszus (1881-1965) von 1912: »Das Menschenschlachthaus - Bilder vom kommenden Krieg«. Lamszus prophezeit in gespenstischer Weise die Gräuel und Schrecken des Ersten Weltkrieges. Sein Buchtitel lieferte den Namen der Wuppertaler Ausstellung.

Zu den Vorausahnenden eines globalen Konfliktes gehörte auf der Seite der bildenden Kunst der schlesische Maler Ludwig Meidner (1884-1966). Seine Bilder »Apokalyptische Landschaft«, »Brennende Stadt« oder auch »Bombardement einer Stadt« (alle von 1913) zeigen die apokalyptischen Visionen, die einige Jahre später von der Realität noch übertroffen wurden.

Das prophezeite Schlachthaus, der Krieg, wurde anfangs von der überwiegenden Mehrheit der Künstler als »reinigendes Gewitter« begrüßt, ja teilweise euphorisch bejubelt und unterstützt. Max Liebermanns Lithographie »Jetzt wollen wir sie dreschen« von 1914 zeigt einen säbelschwingenden Reiter, der die kriegshetzende Parole des Kaisers bildlich umsetzt. Einige Künstler verbanden mit dem Krieg auch die Hoffnung, neue Impulse für ihr künstlerisches Schaffen zu gewinnen. Etliche meldeten sich freiwillig zum Kriegseinsatz, so zum Beispiel Franz Marc (1880-1916) und August Macke (1887-1914), die ihre Euphorie mit dem Leben bezahlten. Aber auch Max Beckmann, Erich Heckel, Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner und Max Slevogt waren patriotisch bis kriegsbegeistert gestimmt. Der Bildhauer Ernst Barlach etwa notierte am 3. August 1914 (Kriegsbeginn) in sein Tagebuch, dass ihm »die Kriegsstimmung wie eine Erlösung« vorkomme.

Auch auf französischer Seite war die Stimmung bei vielen Künstlern von patriotischen Gefühlen geprägt. Klein dagegen war die Zahl der Skeptiker, die dem Kriegsgesang und Hurra-Geschrei nicht erlagen oder mutig widerstanden. Die Ausstellung zeigt etwa den Expressionisten Willy Jaeckel (1888-1944), dessen Graphikmappe »Memento 1914/15« in zehn Lithographien die Brutalität und Grausamkeit des Krieges unverblümt darstellt. Was den Kriegsherren immerhin so gefährlich erschien, dass sie die Mappe kurz nach Erscheinen verboten: »Zu unpatriotisch … und schlecht für die Moral des Volkes«, war die Begründung. Auch der Kieler Maler und Grafiker Heinrich Ehmsen (1886-1964) schockte mit seinem Bild »Leiche im Schützengraben« von 1915, in dem er einen toten Soldaten, im Stacheldraht hängend, mit verrenkten Gliedmaßen darstellte. Die Kriegserlebnisse ließen ihn zu einem politisch engagierten Künstler werden, der unter anderem 1930 im Kampfkomitee der Künstler und Geistesarbeiter zur Unterstützung der KPD bei den Reichstagswahlen mitarbeitete.

Wegen des Kriegseinsatzes war es den meisten Künstlern nicht möglich, großformatig oder gar auf einer Staffelei zu malen. So entstanden am Ort des Kriegsgeschehens, teilweise im Schützengraben, meist nur kleinformatige Skizzen, Aquarelle, Bleistiftzeichnungen. Nur hinter der Frontlinie, etwa im Sanitätsdienst, waren aufwendigere Ölbilder machbar. Oder - etliche Jahre nach Kriegsende - im heimatlichen Atelier.

Der Kriegsverlauf, vor allem der ab 1916 scheinbar unendlich dauernde Stellungskrieg im Schützengraben, ließ die anfängliche Euphorie schwinden und bewirkte bei den meisten Künstlern eine Auseinandersetzung und Verarbeitung der teilweise traumatischen Kriegserlebnisse. Ein Zeugnis davon liefert zum Beispiel Erich Heckels Bild »Irrer Soldat« von 1916, das einen starr nach vorn blickenden Mann mit leerem Blick zeigt. Die roten Haare lassen einen blutverschmierten Kopf erscheinen.

Der wohl »fleißigste« Schützengraben-Maler dürfte Otto Dix (1891-1969) gewesen sein. Rund 500 Kreide-, Tusche- und Tempera-Blätter entstanden zwischen 1915 und 1918 - düstere Werke mit Weltuntergangsvisionen. Sein »Selbstbildnis als Soldat« von 1914 wurde als Ausstellungsplakat gewählt: Ein kahlgeschorener Rekrut mit etwas wirrem, aufgewühltem Gesichtsausdruck blickt den Betrachter an. Als »wichtigste Auseinandersetzung des Künstlers mit den Fronterlebnissen« wertet die Kunsthistorikerin Nicole Hartje-Grave allerdings die fünf Mappen mit jeweils zehn Radierungen mit dem Titel »Der Krieg« aus dem Jahr 1924. Alle 50 Blätter, komplett im Besitz des Von der Heydt-Museums, werden den Besuchern präsentiert.

Mit der Ausstellung soll, so Gerhard Finckh und David Liot, die beiden Museumsdirektoren, ein »Beitrag für eine friedliche Zukunft« geleistet werden.

Bis 27.7., Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Von der Heydt-Museum, Turmhof 8, Wuppertal-Elberfeld. Katalog 25 €.

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