Langwieriger Übergang

Machtpoker vorm Urnengang

  • Lesedauer: 2 Min.

Am 25. Juni sind die rund drei Millionen wahlberechtigten Libyer aufgerufen, ein neues Übergangsparlament zu wählen. Die 200 Abgeordneten des Repräsentantenhauses werden auf ihrer ersten Sitzung nach dem Ramadan einen neuen Premierminister bestimmen. Der derzeitige Premier Abdullah Al Thinni wurde nach der Absetzung seines Vorgängers Ali Seidan nur als Übergangslösung ins Amt gewählt.

Beobachter bezweifeln, dass der im Kongress vorherrschende Machtkampf zwischen religiösen und liberalen Kräften nun ein Ende findet. Schon jetzt scheinen zwischen Muslimbrüdern, Islamisten und Stämmen Absprachen stattzufinden. Entscheidend für die Machtverteilung wird sein, wie die Kandidaten der ehemaligen 70-Parteien-Allianz von Mahmoud Jibril abschneiden. Vielen der zu Gaddafi-Zeiten gut vernetzten liberalen Politiker werden gute Chance eingeräumt. Würde sich die Machtbalance zu Ungunsten der Islamisten verschieben, befürchten viele Tripolitaner mehr Gewalt der religiösen Milizen.

Zahlen und Fakten
Libyen zählt bei einem Territorium von 1,77 Millionen Quadratkilometern lediglich gut sechs Millionen Einwohner. Rund 90 Prozent der Bevölkerung leben in den Küstengegenden von Tripolitanien und Cyrenaika, 85 Prozent davon in Städten. Der Wüstenstaat am Südrand des Mittelmeeres verfügt laut OPEC-Statistik über die größten bekannten Erdölreserven Afrikas. nd

 

Die Milizen hatten im letzten Jahr mit Gewalt das sogenannte Isolationsgesetz durchgesetzt, indem sie mehrere Ministerien umstellten und Abgeordnete bedrohten. Mit dem Isolationsgesetz wurden alle Funktionäre von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, die nach 1969 mindestens mittlere Managementpositionen innehatten. Dadurch verloren über Nacht etliche Ministerien einen großen Teil ihrer Fachleute. Seit Beendigung der Kämpfe Ende 2011 ist es der Regierung daher nicht gelungen, staatliche Großprojekte wieder anlaufen zu lassen und ausländische Investoren ins Land zu holen, die dringend benötigte Arbeitsplätze schaffen würden.

Ohne die Ankurbelung der Wirtschaft werden die Milizen nicht entwaffnet werden können, die hauptsächlich aus perspektivlosen jungen Männern bestehen.

Warten auf die Verfassung

Die im Frühjahr gewählte verfassunggebende Versammlung arbeitet unter dem Vorsitz des Liberalen Ali Tarhouni an einem Verfassungsentwurf. Die 60-köpfige Expertenrunde tagt in Al-Beida östlich von Bengasi, der alten Hauptstadt Libyens. Über deren Verfassungsvorschlag wird im September in einem Referendum abgestimmt. Erst mit Annahme der Verfassung und neuerlichen Parlamentswahlen wird Libyens Übergangsphase enden.

Völlig unklar bleibt, wie sich die zahlreichen Milizen verhalten werden, die meist mit politischen Parteien oder Politikern verbündet sind. Erst mit dem Aufbau von Polizei und Armee, die derzeit kaum in Erscheinung treten, wird das künftige Parlament arbeiten können. In den letzten Monaten wurde der Nationalkongress mehrmals von Milizen gestürmt. mk

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