»... doch nur ein willenloses Werkzeug.«
Aus dem Tagebuch von Fritz Kleffel, Funker in der Feldfliegerabteilung 46, eingesetzt an der Ostfront
1915
1. Juli: Transport kommandiert nach Russland.
5. Juli: Einkleiden. Besuch von Waldemar, meinem Bruder in Darmstadt. Wir sprachen über Erbschaftsangelegenheiten
6. Juli: Früh ½ 8 Uhr ausrücken ins Feld mit Musik.
9. Juli: Abfahrt von Darmstadt. In Hanau bekamen wir Kaffee. In Fulda wurde uns Himbeerlimonade verabreicht. In Bebra gab's Mittagessen Bohnen mit Fleisch.
12. Juli: Des Abends hieß es, die große Offensive sollte am 13.7. nachts beginnen, sämtliche Maschinen müßten startbereit sein. Da wurde noch tüchtig geschafft, Benzin aufgefüllt, Bomben angebracht. ¾ 11 Uhr ging’s schlafen und wir harrten der Dinge, die da kommen sollten. Punkt 11 Uhr fiel von unserer schweren Artillerie der 1. Schuß, dann rollte es die ganze Nacht und es regnete schauerlich dazu. Kalt war es auch, ich zog mir die Decke fester über den Kopf, aber jämmerlich gefroren habe ich doch.
13. Juli: Mittags mußte ich auf Wache ziehen bis zum nächsten Mittag mit 2 Mann Ablösung. Als ich die Nachtrunde angetreten hatte, hörte ich vor mir 40 km den Donner der schweren Geschütze. Es ist doch ein schauriges Gefühl, wenn man so allein in Feindesland auf Wache steht und weiter vor mir ringen Völker miteinander auf Leben und Tod.
16. Juli: Unterwegs sahen wir zerschossene Dörfer und so weiter, der ganze Anblick schaurig, je näher wir Brassnitz kamen, begegneten uns gefangene Russentransporte... 5 km vor Brassnitz sahen wir Anzeichen eines 2 Tage vorhergegangenen Gefechts. Die Dörfer zerschossen, es brannte noch teilweise, tote Pferde lagen im Straßengraben desgleichen Russen. Deutsche Soldaten lasen das erbeutete Kriegsmaterial zusammen...
12. August: 4 Uhr Aufstehen. Nach dem Kaffeetrinken bin ich mit einem Kameraden in die eroberten russischen Schützengräben, wo ein wildes Chaos war. Gegen 40 tote Russen lagen noch in und vor den Gräben, meistens Kopfschüsse. Wir nahmen uns verschiedene Andenken mit... Des Nachmittags war Löhnungsappell und bekam dann jeder wieder Geld in die Hände, was allemal große Freude macht. Außerdem 75 Pfg. Beutezulage.
2. September: 5 Uhr Wecken. Nach dem Kaffeetrinken ging ich wieder mit zwei Kameraden Russen beerdigen. Nach ungefähr ¾ Stunden laufen kamen wir dort an. Es war ein russischer Schützengraben. Der Mann hatte im Graben gestanden und im Anschlag gelegen, eine Granate war gekommen und hatte ihm den Kopf mit samt der halben Brust weggerissen, ein schauriges Bild welches ich nicht vergessen werde. 5 m weiter war rechts wieder ein Loch. Dort lag der zweite Russe, derselbe hatte im gleichen Moment wo die Granate geflogen kam, seine Notdurft verrichtet einen Granatsplitter am Kopf bekommen und war dann kopfüber in seinen Stand gestürzt. Ich fand bei ihm ein Portomonaise mit 2 Rubelscheinen.
9. September: Nach dem Kaffee wurde ich zur Küche eingeteilt, das Wetter war trübe. Ein Weib wurde von unserem Herrn Flugzeugführer Bodenburg im Walde mitsamt ihrem Kinde aufgefunden. Sie bekam Tee & Kaffee, das arme Kind schlief sofort fest ein. Auch dieses Weib mit ihrem Kinde wäre ein Opfer des Krieges geworden. Man sieht da wieder einmal, wie die Kultur mit Füßen getreten wird. Man sollte verzweifeln.
11. September: 5.30 Uhr Aufstehen. Des Nachmittags war Löhnung, es gab wieder 5,30 M. Der Hauptmann hielt eine Ansprache, daß es jetzt so wenig Brot gäbe und daß die Truppen vorne noch weniger hätten. Wir sollten noch zufrieden sein. Aber zum Donnerwetter, wenn man nichts zu essen bekommt, kann man nichts leisten. Es wäre am besten, (wenn) der ganze Krieg, welcher meiner klaren Überzeugung (nach) doch bloß für die Großkapitalisten ist, aufhörte.
15. September: Das Wetter war zum Fliegen gar nichts. Wir musizierten, sangen und erzählten und rauchten. Des Abends hatten wir ein interessantes Thema über den ganzen Krieg und sah da jeder von den Kameraden ein, daß der arme Mann doch bloß ein willenloses Werkzeug der Kapitalisten ist. Abends gab's Rum.
27. September: Des Abends bekamen wir jeder ein ¾ Brot. Auch erhielt ich 3 Pakete und 1 Karte. Hier wäre schöne Gelegenheit zum Photographieren. Hoffentlich bekomme ich bald meinen Apparat.
28. September: 5.30 Uhr Wecken. Dann war große Lauserei, man kann sich tatsächlich nicht schlafen legen, ehe 10-12 Stück zerdrückt zu haben.
16. Oktober: 6.30 Uhr Wecken. Ich mußte meine Funkermaschine in Schuss bringen, da an der Front Artillerie wieder eingeschossen werden soll. Des Abends bekam ich Post, die Camera und ein Fläschchen Likör, welches mir sehr gut mundete.
17.Oktober: 6.30 Uhr Wecken. Etwas Ereignisvolles; unser Herr Feldwebel Winecke kam ins Lazarett nach Kowno. Es ist gut, daß der Lump fort ist...
12. Oktober: 6 Uhr Wecken. Nach dem Kaffee getrunken ging's auf den Platz, wo ich den Maschinengewehr-Unterstand mit baute. Wir haben täglich 5 gefangene Russen vom hiesigen Gefangenenlager zum Arbeiten hier. Es sind alle 5 nette Kerle, 1 aus Sibirien, einer aus Moskau, sein Vater ist Arzt daselbst und er Student der Jura. Wir arbeiten zusammen, als wenn wir Brüder wären.
30. November: 6.30 Wecken. Mittags mußte ich einen Probeflug auf unserer Maschine mitmachen. Es ist dieses mein erster Flug in meinem Leben. Es ist in der Maschine ganz sicher und die Aussicht von oben noch dazu jetzt Winter ist, wunderschön.
24. Dezember: Um 5 Uhr sollte die Weihnachtsfeier vor sich gehen. Der Hauptmann kam und frug, ob wir keinen Weihnachtsbaum gemacht hätten, verneinten das, da wir keine Stimmung hätten. Er gab dann den direkten Befehl, sofort einen zu machen. Dann gings in die große Scheune... Es wurde gesungen »Stille Nacht« und »ich bete an die Macht der Liebe« Der Hauptmann hielt eine Ansprache in Bezug auf Durchhalten. Dann wurden noch drei Mann mit dem Eisernen Kreuz bedacht. Verschiedene Mannschaften befördert, dann konnten wir unsere Liebesgaben nehmen. Ich hatte ein Taschenmesser, 1 Unterhose, l Karton mit Äpfeln, Nüssen, Schokolade, Pfefferkuchen. Dann war noch meine Weihnachtskiste von Luise und 1 Weihnachtspaket vom Frauenverein Dietzhausen, worin 1 paar Strümpfe, 2 paar Fußlappen, 1 Taschentuch, Schokolade und so weiter mehr. 6 Uhr gabs Gulasch und jeder Mann 1 ½ Becher Rum. Unser Herr Flugzeugführer Fritz schenkte uns 7 Mann jeden 13 Mark und zusammen 100 Zigarren und 100 Zigaretten.
1916
20. Januar: Um 8 Uhr standen wir auf, besorgten uns ein Geschirr und dann ging’s wieder zum Bruchplatz. Nachdem wir alles abmontiert hatten und noch photographiert hatten, ging die Fuhre zum Bahnhof... Dann kam noch Einquartierung, zwei Infanteristen von der Front. Es waren Elsässer. Der eine, ein Unteroffizier erzählte mir, daß vorne bei seinem Regiment vorige Woche 1 ganzer Zug mit dem Zugführer und ein paar Tage zuvor wieder 40 Mann übergelaufen wären. Die Stimmung wäre unter den Truppen miserabel, dieselben gehorchten den Befehlen nicht mehr. Die Offiziere lebten herrlich und in Freuden. Wir erzählten uns bis nachts 2 Uhr.
1. Februar: Des Nachmittags mußte ich auf Wache. Um 2 Uhr wurde ich abgelöst, mußte in Maschine 5 die Funkereinrichtung einbauen. Des Abends gab es Rum. Drei Kameraden hatten sich ordentlich betäubt. Dafür sollten sie Strafexerzieren machen. Ein Bursch Appenzeller bekam, da er den Wein nicht genug kalt gestellt hatte ½ Stunde strafexerzieren. Man sieht also den Klassenunterschied im Felde zwischen Offizieren und Mannschaften. Wenn doch der gottverdammte Krieg bald zu Ende ginge, unser Morgen und Abendgebet.
15. August: Um 9 Uhr startete Maschine 5 zum Fluge zur Front. Um 11 Uhr kam die Nachricht, daß auch dieses Flugzeug durch Ballonabwehrgeschütze abgeschossen sei. Es hatte außen 32 Einzeltreffer noch 1 Volltreffer... Des abends um 10 Uhr startete Maschine 4 zum Bombenflug nach Apsa um einen russischen Flugplatz zu belegen. Nach 1 Stunde kehrte dieselbe zurück und flog dann nochmals hin, wo sie dann um 3 Uhr wieder kam. Die Offiziere haben wieder gesoffen wie die Schweine.
12. September: Das Wetter war schlecht, kalt mit etwas Regen. Ich blieb im Unterstand. Auch erfahre ich, daß den Herren Offiziere Abteilungsführer 15 Pfd. Butter Hauptmann Pärwald, 10 Pfd. Butter und Leutnant Ranot, 10 Pfd. Butter dem Koch Pocke mit nach Deutschland gegeben hatten. Wir bekamen heute Abend auch Butter und zwar 60 Gramm.
1917
28. Januar: 8 Uhr Aufstehen. Heute ist Sonntag und dienstfrei, da kein Flugwetter. Ich habe Stubendienst. Um 11 Uhr ist Kirchgang. Der Pastor, ein Divisionspfarrer, welcher den Leuten wieder mal den Honig ums Maul geschmiert hat. Des Abends erfahre ich, daß dieser saubere Herr mit samt unseren schönen Offizieren so besoffen war, daß er ein paar mal unter den Tisch gelegen hatte. Wenn es so weiter geht, gewinnen wir den Krieg ganz sicher.
Die Ausstellung in Dietzhausen öffnet am 1. August um 17 Uhr in der Dorfkirche für eine Woche. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.