Mindestlohn soll weiter durchlöchert werden
Union und SPD einigten sich auf Ausnahmen für Erntehelfer und Zeitungszusteller
Kurz vor dessen Verabschiedung haben sich Union und SPD am Wochenende auf weitere Ausnahmen beim gesetzlichen Mindestlohn verständigt. Betroffen sind Erntehelfer, Zeitungszusteller und Praktikanten. Gegenwind dafür erhält die Große Koalition von der Opposition, den Gewerkschaften und dem Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise.
Am Donnerstag soll der Bundestag über die Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro ab dem 1. Januar 2015 abstimmen. Dabei sind jedoch bereits seit längerem eine Reihe von Ausnahmen beschlossene Sache: Langzeitarbeitslosen etwa bleibt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten einer Beschäftigung verwehrt. Auch Pflichtpraktika im Rahmen eines Studiums oder einer Berufsausbildung und Praktika mit einer Dauer von bis zu sechs Wochen sollten ausgenommen werden.
Nun einigten sich die Regierungsparteien darauf, dass die Ausnahme sogar für Praktika von bis zu drei Monaten gelten soll. Für Erntehelfer ist geplant, die Grenze für die sozialabgabenfreie kurzfristige Beschäftigung von 50 auf 70 Tage anzuheben und Kost und Logis auf den Mindestlohn anrechenbar zu machen. Verlage sollen nach einem Bericht der »Süddeutschen Zeitung« in den Jahren 2015 und 2016 den Mindestlohn unterschreiten dürfen.
Dass diese Branche vom Mindestlohn ausgenommen werden soll, nannte der LINKE-Vorsitzende Bernd Riexinger gegenüber dem »nd« eine »schreiende Ungerechtigkeit«, weil Zeitungszusteller besonders wenig verdienen würden. »Es geht hier um ein Gesetz und keinen Schweizer Käse mit vielen Löchern. Ein flächendeckender Mindestlohn muss flächendeckend sein und darf keine Ausnahmen haben«, so Riexinger.
Indes verteidigte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl in der »Saarbrücker Zeitung« die Koalitionsvereinbarung vom Wochenende: »Wir haben immer gesagt, dass wir den Mindestlohn wollen, aber dass keine Arbeitsplätze gefährdet werden dürfen.«
Bei BA-Chef Frank-Jürgen Weise stößt die weitere Durchlöcherung des Mindestlohns jedoch nicht auf Gegenliebe. »Wenn man zu viele Sonderregelungen zulässt, wird man Widersprüche produzieren, Ausweichverhalten fördern und am Ende Unzufriedenheit ernten«, so Weise gegenüber der »Frankfurter Rundschau«.
Auch der Bundesvorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, kritisierte die Ausnahmen heftig. »Mit der Vielzahl von Ausnahmen hat die Koalition den Mindestlohn brutal amputiert. CDU, CSU und SPD verweigern mindestens drei Millionen Menschen die 8,50 Euro«, sagte Bsirske zu »Bild« und warf der SPD »grobe Wählertäuschung« vor.
»Die Gewerkschaften sind gut beraten, Sturm gegen weitere Ausnahmen zu laufen, wenn ihr zentralstes Projekt nicht immer mehr unterlaufen werden soll«, forderte der LINKE-Vorsitzende indes mit Blick auf Bsirske und Co.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.