Experten beraten auf Bundestagsanhörung über Mindestlohn

Gewerkschaftsprotest gegen Ausnahmen beim Mindestlohn / Linke nimmt Kritik der Gewerkschaften in Schutz / Arbeitgeber fordern Nachbesserungen

  • Lesedauer: 4 Min.
Der Mindestlohn von 8,50 soll den Gewerkschaften zufolge eine neue »Ordnung der Arbeit« einläuten. Noch vor seiner Einführung wird deutlich, dass es zahlreiche Sonderregelungen geben wird.

Berlin. Wenige Tage vor der Verabschiedung des Mindestlohns im Bundestag ist die Debatte um Sonderregelungen neu entbrannt. Am Montag hörte der Fachausschuss für Arbeit und Soziales im Parlament dazu Experten aus Gewerkschaften, Wirtschaft und Wissenschaft an. Die Ausschussvorsitzende Kerstin Griese (SPD) begrüßte die mehrheitlich positive Haltung der Sachverständigen zur Lohnuntergrenze und schloss weitere Ausnahmen aus. Die Bauernverbände rechnen mit Arbeitsplatzverlusten durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro. Kritik an den Regelungen für Langzeitarbeitslose kam vor allem von Sozialverbänden und Gewerkschaften.

Griese betonte nach der Anhörung: »Der Mindestlohn von 8,50 Euro kommt ausnahmslos für jede Branche.« Dies gelte auch für die Gemüsebauern, im Zeitungsvertrieb, in der Systemgastronomie und im Taxigewerbe. Sonderregelungen für die Übergangszeit seien wahrscheinlich unvermeidlich.

Die Bauern befürchten enorme Einbußen: »Wir gehen davon aus, dass ein großer Teil der Arbeitsplätze wegfallen und nach Polen oder Rumänien abwandern wird«, sagte der Hauptgeschäftführer des Gesamtverbands der Deutschen land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände, Burkhard Möller. Dem Landwirtschaftsexperten zufolge ist durch die Regelung vor allem das obst- und gemüseverarbeitende Gewerbe betroffen. Die Branche werde unter massiven Einbußen leiden, unterstrich Möller.

Wie am Freitag bekannt wurde wollen Union und SPD den Gesetzentwurf um weitere Sonderregelungen ergänzen. Diese betreffen Erntehelfer, Praktikanten oder Zeitungszusteller. Der Arbeitsrechtler an der Universität Bonn, Gregor Thüsing, plädierte in der Anhörung dafür, den Mut zu haben, erhebliche geschäftliche Risiken in bestimmten Branchen abzumildern und Ausnahmen zu schaffen. Dazu gehöre auch die Landwirtschaft. »Man muss einen Weg finden, Saisonarbeiter in Deutschland weiter zu beschäftigen und dies sozialverträglich zu gestalten«, sagte Thüsing.

Am Dienstag kommen die Fraktionen zusammen. Bis dahin müssten letzte Details über Sonderregelungen geklärt sein. Der von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) geplante Mindestlohn soll am kommenden Donnerstag vom Bundestag verabschiedet werden. Die gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde soll ab 2015 flächendeckend gelten. Ausnahmen sind auch für Auszubildende, Jugendliche unter 18 Jahren, Langzeitarbeitslose und bestimmte Branchen, für die ein Tarifvertrag mit niedrigeren Löhnen gilt, geplant.

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) sprach sich gegen jegliche Ausnahmen aus. »Diese Ausnahmen wirken diskriminierend und stigmatisierend«, erklärte der AWO-Vorstandsvorsitzende Wolfgang Stadler. Er forderte die Bundesregierung auf, alle Ausnahmen zu streichen und sich auftuende Schlupflöcher zu schließen. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnt die Ausnahmen ab.

Die Caritas sieht in der Mindestlohnregelung eine Benachteiligung für Langzeitarbeitslose, psychisch Kranke und Menschen mit Behinderung. Der katholische Wohlfahrtsverband forderte eine Erhöhung der Haushaltsmittel für die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen und Menschen mit Behinderung, um die drohende Finanzlücke zu schließen.

Kritik an den Ausnahmen kam auch von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Es könne zu problematischen Verzerrungen am Arbeitsmarkt kommen, wenn Sonderregelungen für Jugendliche und Langzeitarbeitslose eingeführt würden, erklärten die Düsseldorfer Tarifexperten des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Stiftung. So gebe die befristete Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose Unternehmen »starke Anreize, nach einem Zeitraum von sechs Monaten den vormaligen Langzeitarbeitslosen wieder zu entlassen und durch einen neuen günstigeren zu ersetzen«.

Gewerkschaften protestieren gegen Ausnahmen beim Mindestlohn

Ein Bündnis aus Gewerkschaften und Verbänden hat am Montag vor dem Bundestag gegen Ausnahmen beim Mindestlohn demonstriert. Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) vom Montag nahmen mehrere hundert Menschen an der Kundgebung teil. Anlass war eine Sitzung des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Soziales. Dort wurden am Montagmittag Experten zum Thema Mindestlohn angehört. DGB-Chef Reiner Hoffmann kritisierte Pläne der Regierung, Gruppen wie Jugendliche oder Langzeitarbeitslose vom Mindestlohn auszunehmen. Das Gesetz dürfe »nicht zerschossen werden durch immer neue Ausnahmen für diejenigen, die am lautesten jammern«, sagte Hoffmann.

Linke nimmt Gewerkschaften bei deren Kritik an den Mindestlohn-Ausnahmen in Schutz

Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, hat die jüngste Gewerkschaftskritik von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi zurück gewiesen. »Die SPD-Generalsekretärin scheint vergessen zu haben, was die SPD ihren Mitgliedern, unter denen auch viele Gewerkschafter sind, zur Urabstimmung über die Koalitionsvereinbarung vorgelegt hatte - einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn ohne Ausnahmen«, sagte er der in Halle erscheinenden »Mitteldeutschen Zeitung« (Online-Ausgabe). »Herausgekommen ist nun ein einziger Flickenteppich.« Bartsch fügte hinzu: »Dass die Gewerkschaftsvorsitzenden sich nicht für dumm verkaufen lassen wollen und offenbar ein besseres politisches Kurzzeitgedächtnis haben, sollte deshalb der SPD-Spitze nicht Anlass für Mahnungen an deren Adresse, sondern für den Griff an die eigene Nase sein. Verarschen können sich die Gewerkschafter und die SPD-Basis auch allein.« Fahimi hatte erklärt, die Kritik der Gewerkschaften an den geplanten Ausnahmen beim Mindestlohn sei »völlig überzogen«. Agenturen/nd

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